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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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zieh die neuen Laufklamotten über. Schlag fünf vor elf traben wir los.
    Er ist nicht bei der Sache, zu sehr auf mich konzentriert, ob ich mitkomme. Zwei Schritte von mir kommen auf einen von ihm, weil er anderthalb Kopf größer ist als ich. Aber als er endlich sein Tempo gefunden hat, laufe ich ihm hinterher, ohne das Geringste zu denken. Eisig kalter Wind bläst uns entgegen. Die Wolken sind grau. Ich rieche Kiefernnadelduft und freue mich an den verwachsenen Birken. Sie zwinkern mir mit ihren schrundigen Birkenaugen zu. Riski hält zum Glück nichts davon, beim Laufen Theorien auszupacken. Er schweigt und zieht das Tempo an. Der Boden ist hart und gefroren. Breit, bleigrau, aber nicht träge fließt der Fluss dahin. Auf der anderen Uferseite nehme ich an einer Hütte eine Bewegung wahr. Ich leg noch einen Zahn zu, bis ich an Riskis Seite bin.
    »Da drüben ist jemand.«
    Riski sieht kurz über den Fluss. »Meinst du bei der Hütte?«
    »Ja, ist die bewohnt?«
    Er sieht gar nicht hin und behauptet: »Nein.«
    »Aber da ist jemand.«
    »Konzentrier dich auf deinen Atem.«
    »Ich hab kein Problem mit dem Atem. Ich hab ein Problem damit, dass da jemand ist!«
    Riski dreht sich um und läuft auf der Stelle. »Du spinnst, Tilly. Ich würd gern wissen, wieso du allein im Dunkeln rumrennst, wenn du überall Gefahren lauern siehst?«
    Gerade deshalb lauf ich gern allein im Dunkeln, weil ich dann besser abhauen kann. Aber Riski hat recht. Da ist nichts. Die Hütte wirkt wieder vollkommen verlassen. Vielleicht hab ich es mir eingebildet, denke ich verzweifelt. Das meiste bilde ich mir ein. Ich sollte das bleiben lassen und mich an die Realität halten. Vielleicht würde das mit meinen Albtraumnächten Schluss machen.
    »Können wir weiter?«
    Ich nicke. Riski entfernt sich vom Fluss und hält auf den Wald zu. Das Gelände steigt an. Nach zwei Kilometern dreht er sich zu mir um, prüft, ob ich noch da bin. Er ist meilenweit davon entfernt, mich abzuhängen.
    Kopfschüttelnd sieht er wieder nach vorn. Zwischen den alten Bäumen am Waldrand stehen halbwilde Rentiere und fressen herabhängende Bartflechten von den alten Bäumen ab. Wachsam, aber nicht ängstlich blicken sie mich an. Irgendwas hängt in der Luft. Ich kann es riechen. Plötzlich weiß ich, was es ist.
    »Riski, es schneit gleich!«
    Riski läuft auf der Stelle, inhaliert theatralisch tief und fächert sich mit beiden Händen Luft zur Nase.
    »Du hast recht. Ich riech es auch.«
    Als wir die Container sehen können, tanzen Schneeflocken vom Himmel.
    »Beim ersten Schnee darf man sich was wünschen.Geht garantiert in Erfüllung. Man darf es bloß nicht sagen«, sagt Riski und sieht aus, als ob er sich was wünschen würde.
    Ich wünsch mir, dass mein Plan in Erfüllung geht. Ich habe Becks Bemerkung im Flugzeug, dass er aus der erlebnispädagogischen Organisation aussteigen will und stattdessen überlegt, drei oder vier Jugendliche bei sich aufzunehmen, nicht vergessen. Im Gegenteil, ich denke dauernd daran und ich will dabei sein.
    Doch zunächst gehen ungewünschte Wünsche in Erfüllung. Kaum sind wir mit dem Mittagessen fertig, hält der Bus des Aurora Linna Icehotels auf unserem Schotterplatz. Wir sollen den Baustellenzustand in Augenschein nehmen, anstatt die eiskalte Stahlverschalung weiter aufzubauen.
    Yippie! Ein Ausflug nach Nellim!
    Denken wir, aber dann stellt es sich als eine weitere Disziplinierungsmaßnahme heraus.
    »Wir liegen mit unserem Arbeitsprozess weit hinter dem uns zur Verfügung stehenden Zeitfenster zurück.« Topmanager Tonbergs Arm beschreibt eine große Geste über die beeindruckende Großbaustelle des Eishotels.
    »Die ham ’n Kran, Mann«, mault Cem.
    Abgesehen davon arbeiten hier gut dreißig ausgebildete Bauarbeiter und nicht ein Haufen verkaterter Kleinkrimineller. Riski labert mit der Bauleitung und ich schleich mich weg zur Ausstellungshalle. Bei unserer ersten Besichtigung konnte ich mir nicht alles ansehen. Die Fotografien der Eis-Suiten verschlagen mir den Atem. Es kommt mir unwahrscheinlich vor, dass wir mit unseremBauvorhaben auch nur in die Nähe dieser palastartigen, leuchtenden Schönheit kommen. Allerdings zahlen die Gäste für eine Suite auch zweihundertsiebzig Euro pro Nacht. Wer kann sich das leisten? Ich geh zu dem Stehpult und blättere im Gästebuch vom letzten Jahr. Japanische, russische, griechische Grüße, witzige Zeichnungen, eingeklebte Fotos. Dann stoße ich auf einen schwungvollen Eintrag mit violetter

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