Wenn er mich findet, bin ich tot
doch mal, wir wären nur zu dritt! Fast ’ne Art Familie.«
»Bin nicht dein großer Bruder«, motzt Paolo.
»Nur zwei Sachen will ich.« Ich mein es todernst. »Ich will wissen, warum Sandra sterben musste. Und ich will ein paar ruhige Jahre haben. Ich hab’s so satt.«
Man kann es in der stillen Bude förmlich knacken hören, so heftig arbeitet es in unseren Köpfen.»Aber du bist die Obergestörte«, stellt Paolo klar. »Ohne Frage«, sag ich.
6. 11. 12, Container 4
Bleib stehen!, brüllt er hinter mir. Ich laufe im Zickzack. Wenn du was sagst, schlag ich dich tot!, brüllt er. Er ist näher gekommen. Packt mich, reißt mich am Arm herum. Sein Atem schlägt mir ins Gesicht. Wütende Augen. Schnaufen und Schmerzen.
Ich kriege keine Luft. Paolo hält mir die Hand auf den Mund und flüstert: Du hast bloß schlecht geträumt.
11
Der Plan
Das Hüttenfilzen können wir knicken. Nach dem Frühstück werden wir zum Aurora Linna Icehotel abtransportiert. Wir sollen uns die Ergebnisse der dortigen Eisbildhauer ansehen und uns beim Innenausbau unserer Baustelle ein Beispiel daran nehmen.
Bei der ersten Gelegenheit hau ich ab, besteche die Bausekretärin mit zwanzig Euro und rufe Daniela, meine älteste Schwester, an. Sie wohnt zwei Käffer von zu Hause entfernt bei Tante Mandy, Luftlinie zwölf Kilometer. Ich biete ihr fünfzig Euro für folgenden Job an: Sie soll das Handy der Alten nach der Nummer eines Anrufers ohne Namenszuordnung durchsuchen. Und zwar in der Zeit vom 10. Oktober bis 3. November. Die soll sie aufschreiben und überprüfen, ob die Nummer danach noch mal auftaucht. Ich muss wissen, wer nach mir gefragt hat!
»Mach’s selber«, sagt sie.
»Kann nicht, bin in Finnland.«
»Scheiße, Tilly! Jahrelang hast du dich nicht gemeldet. Warum grad jetzt?«
»Es ist wichtig! Übrigens, sie wird dir erzählen, dass ich gestorben bin. Bin ich nicht. Aber behalt das für dich. Bitte.«
»Du hast doch mal wieder den totalen Verfolgungswahn, hab ich recht?« Daniela motzt noch weiter, aber dann willigt sie ein. »Wie komm ich an die Kohle?«
Im Umkreis von ein bis zwei Kilometern rund um unser Elternhaus habe ich an strategisch günstigen Stellen Geld gebunkert. Meine Vorbereitung auf … Ich weiß nicht was. Abhauen nach Nirgendwo, Flucht ins Weltall …
»Ich ruf dich an. Heute Abend. Schaffst du das bis dahin?«
Daniela stöhnt: »Hab überhaupt keinen Bock, aber ich mach’s.«
»Super, ich sag dir dann, wo das Geldversteck ist.«
Ich nehme ein paar Hotelbroschüren mit und reihe mich wieder in meine Gruppe ein. Selbst im unfertigen Zustand sieht das Foyer beeindruckend aus. Ein Kristallpalast, in allen Blautönen schimmernd und glänzend. Rechts von mir schabt ein Japaner an einem gewaltigen Eisengel, der seine Flügel weit über den Empfangstresen ausbreitet. Hat der Bildhauer meine Schnee-Eule gesehen? Mir jagt der Engel einen Kälteschauer über den Rücken, der mich zittern lässt. Sandra fehlt mir so, dass es im Herzen schmerzt.
»Du bist so blass. Muss ich den Notarzt rufen?« Beck sieht mich prüfend an.
»Nee, alle Körperfunktionen im grünen Bereich«, sag ich betont munter. »Apropos, kann ich heute Abend mal kurz meine große Schwester anrufen und fragen, wann das mit der Niedersinkerei bei mir angefangen hat?«
Wird abgenickt. Und als ich Riski frage, ob ich Paolo und Kolja Langlaufen beibringen darf, stößt auch das auf Zustimmung.
»Und wo kriegen wir die Skier her?«
»Von mir«, sagt Riski. »Ich hab noch fünf Paar lange Skier, kurze kann ich in Ivalo holen. It’s all up to you.«
Okay, offensichtlich gibt die Organisation nur dann was raus, wenn man nachbohrt. Ich überlege, wonach ich noch nicht gefragt habe. »Kann ich auch ein Schneemobil haben?«
»Nein.«
»Ist Mieto mit seinen Leuten noch in der Hütte? Haben die was rausgefunden?«
»Nein, die sind abgezogen. Aber für euch ist die trotzdem tabu. Das muss ich nicht extra erwähnen, oder?«
»Nee, schon gut.«
»Tilly???«
Räusper. »Riski!« Entrüstet: »Das versteht sich doch wohl von selbst.«
»Warum glaube ich dir nicht?«
»Weil du ein misstrauischer Finne bist.«
Bis zum Abend bin ich in der hysterischen oder aufgekratzten Stimmung einer Superagentin kurz vorm Supercoup und gehe erfolgreich und mit geschärften Sinnen Container 2 und 6 aus dem Weg. Erst als ich mit meiner Schwester telefoniere, ist Schluss mit lustig, denn Danielas Bericht lautet so:
Eine mitgebrachte Flasche Korn hat die Sache
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