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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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Camp her.
    »Wir wollten Skilaufen! Nicht in die Hütte. Aber die Tür stand auf!« Niemals käme es mir in den Sinn, freiwillig einen vorsätzlichen Einbruch zuzugeben. »Ich hab gedacht, dass die ebene Eisdecke auf dem Fluss ein ideales Übungsgelände ist. Dann ist dieser Irre mit dem Schneemobil auf uns zugerast gekommen. Die Jungs standen zum ersten Mal auf Skiern, für die war es am sichersten in der Hütte. Und ich wollte Hilfe holen. Aber er hat mich verfolgt und auf mich geschossen. Ich hab das Camp nicht sehen können, die Orientierung verloren und bin versehentlich nach Nordosten über die Grenze gelaufen. Dann habt ihr und die russischen Grenzschützer Leuchtkugeln abgeschossen, und er ist im Eis eingebrochen.«
    Riski tobt. »Ich hab dir laut und deutlich gesagt, dass es flussaufwärts in der Mitte, wo er am breitesten ist, Untiefen gibt und eine starke Strömung. Die Eisdecke friert da nie ganz zu!«
    Ich stottere: »Was? Das hab ich nicht gewusst.« Und dann heul ich los.
    Mein Gesicht brennt wie Feuer.
    Beck packt mich wieder auf die Krankentrage und dann schnauzt er: »Hol endlich die Salbe gegen den Kältebrand, Riski!«
    Und Riski eilt in den Vorratsraum, ist gleich wieder an meinem Krankenlager und verteilt, nicht ohne Zartgefühl, Aloe Vera auf meinem Gesicht. Was tatsächlich das Brennen lindert.
    »Wo ist Tonberg?«, frage ich.
    »Draußen. Er wartet auf Mieto«, antwortet Beck. »Riski hat ihn alarmiert, als wir die Schüsse gehört haben, und ihn gebeten, seinen russischen Kollegen Bescheid zu sagen.«
    »Ich hab dich sofort am Laufstil erkannt«, sagt Riski nicht ohne Bewunderung. »Du bist geflogen.«
    »Das stimmt«, sagt Beck trocken. »Er hat so laut deinen Namen geschrien, dass alle Russen, Norweger und Rentiere ihn jetzt kennen.«
    Riski wirkt betreten. »Ich hol mal die Helden ab.«
    »Mach ihnen bloß keine Schuldgefühle.«
    »Sie hätten dich nicht allein lassen dürfen«, sagt Riski hart.
    »Wir wären nicht mehr am Leben, wenn sie nicht in der Hütte geblieben wären«, ruf ich ihm nach.
    Ratlos schüttelt Beck den Kopf: »Wer ballert denn auf Kinder? In was für einer trostlosen Welt leben wir eigentlich, um Himmels willen?«
    Ich warte darauf, dass sich mein Gesicht abkühlt und zucke zusammen, als das Telefon klingelt.
    »Hm. Ja. Ist gut«, murmelt Beck. Und dann zu mir: »Russische Grenzsoldaten haben am Rand der Einbruchstelle eine Waffe gefunden. Mieto, Hultmann und Tonberg sind unterwegs dahin.«
    »Wahrscheinlich hat er sie fallen lassen, bevor er eingebrochen ist«, sag ich.
    »Bist du denn sicher, dass er eingebrochen ist?«
    »Niemand ist aus dem Loch gekrochen. Das hätte ich im Leuchtkugellicht gesehen«, sage ich.
    »Hast du ihn erkannt?«
    Nein. Ich schüttle den Kopf.
    Mieto bestätigt später meine Schilderung anhand der deutlichen Spuren in der verharschten Schneedecke. Überhaupt ist er netter als beim ersten Verhör. Dafür ist in den Gesichtern seiner russischen Kollegen rein gar nichts zu lesen. Wie sich herausstellt, haben Paolo, Kolja und ich, was die Hüttentür betrifft, das Gleiche erzählt. Während ich ungeduldig auf sie warte, verwandeln sich peu à peu die Sorgen und Vorwürfe der Betreuer und Ordnungskräfte in Erleichterung. Tonberg muss schon hart an der Grenze zum Ausflippen sein, denn er bereitet mit den Resten vom Abendessen und Beerenpunsch im Küchencontainer eine spontane Feier vor. Ein spätes Bergfest sozusagen.
    Die Tür fliegt auf. Kalte Luft, Paolo und Kolja kommen herein. Auf ihrem Weg zu mir stürzen zwei Stühle um.
    »Du wirst mich nie mehr zwingen, mich einzuschließen, während du draußen bleibst und jemand rumballert«, sagt Paolo mit rauer Stimme und quetscht mich so hart an sich, dass mir die Luft wegbleibt.
    »Alter, lass mich ran.« Kolja schiebt Paolo zur Seite und packt mich an den Armen. »Bei dem Gedanken, dass dir was passieren könnte, sind wir durchgedreht! So oft kannst du nicht für uns abwaschen, wie das Nerven gekostet hat!« Er hat Tränen in den Augen.
    »Tut mir leid«, sag ich leise.
    Vor der Kantine wird es laut und Beck mischt sich ein: »Trommele die Gruppe zusammen, Kolja.«
    Paolo baut die Anlage auf und präsentiert seine Playlist. Beim eigentlichen Bergfest hätte er den Job des Deejays übernehmen sollen. Und wie auf Knopfdruck verwandelt sich Erleichterung in Partystimmung. DieTische werden zur Seite gestellt, meine Bahre wird weggerückt und die fiese Containerfunzel mit einem roten Küchenhandtuch

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