Wenn er mich findet, bin ich tot
Schnaps geht weg auf ex und wird abgenickt. »Ein guter Tropfen.« Wieder ein neugieriger Blick auf uns: »Sind das Ihre Heiligen Drei Könige?«
»Zwei, und eine Königin.« Der Chef wackelt amüsiert mit dem Kopf. »Nur was das ›heilig‹ anbelangt …?«
»Ja, das ist ein großes Wort«, bestätigt der Pater.
Die Flötenmädchen und Sternsinger starren Paolo, Kolja und mich unter ihren verrutschten Mützen, Kronen und dem Turban grimmig an, bis wir den Grund kapieren und hektisch in unseren Hosentaschen graben. Was wiran Geld finden, stopfen wir in Melchiors Büchse. Balthasar hält seine hinterm Rücken verborgen. Caspar haut den Stern von Bethlehem gegen den Türbalken, als er den kichernden Flötenmädchen folgt, die als Erste den Abgang machen.
Draußen wischt der Pater die verblassten Ziffern und Zahlen über der Eingangstür weg und schreibt 20*C+M+B*13 mit weißer Kreide hin, dazu murmelt er »Christus mansionem benedicat« und lässt den Weihrauchschwenker auspendeln.
Der Chef übersetzt: »Christus segne dieses Haus.« Dann grinst er uns an. »Na, dann hoffen wir jetzt mal das Beste. Schnell rein in die frisch gesegnete Stube.«
Die Sternsinger ziehen Richtung Hoftor ab, die Straße runter zum nächsten Haus. In der warmen Stube schnüffeln Paolo und Kolja an der Schnapsflasche, bis der Chef sie in die Vitrine stellt.
»Das war schön«, sage ich.
»Mein Lieblingsfeiertag«, sagt er.
Ich kann mir nicht verkneifen zu fragen: »Essen wir deshalb heute alle zusammen?« Mir ist es vorgekommen, als hätte der Chef es genossen, sich dem Pater mit uns im Licht der Kerzen am gedeckten Tisch zu präsentieren.
»Wir hätten das schon zu Weihnachten machen sollen«, antwortet der Chef.
»Und warum haben wir nicht?«, bohr ich nach, weil ich das bis heute nicht verstanden habe.
»Weil eure Zimmer nicht fertig waren und der Antragsstress nicht abgeschlossen war. Bei den Behörden war zwischen den Feiertagen kein Schwein zu erreichen …« Den Krach mit seiner Freundin, die nicht gekommen ist,nachdem er sie mit der Nachricht über seine neuen Mitbewohner überrascht hat, erwähnt er nicht. Wir haben das Gezeter auch so mitgekriegt. »… und Paolo und Kolja waren noch nicht so weit«, rundet der Chef seine Begründung ab.
Die Jungs: »Was?« »Wir?« »Was soll das?«
»Ja, ihr. Wollt ihr jetzt Nachtisch oder was?«
Vielleicht ist der Chef ja genauso schwankend in seiner Gemütslage wie ich, kommt mir in den Sinn, denn so mütterlich habe ich ihn noch nie erlebt.
»Wieso hatten die zwei Sammelbüchsen dabei?«, lenke ich Kolja und Paolo von weiterem Protestgeschrei ab.
»Eine war für die Kinder und eine für die Kirche«, sagt Beck und stellt duftende Bratäpfel und eine Schüssel Vanillesoße auf den Tisch.
»Mann, so hab ich mir immer eine Waldweihnacht vorgestellt. Ich hab ein Kinderbuch gehabt …« Koljas Begeisterung kriegt von Paolo einen Dämpfer verpasst.
»Weiß nicht, ob sich die Rehlein des Waldes mit uns zum Rehbraten an einen Tisch gesetzt hätten«, sagt er.
»Hör bloß auf, du Zyniker. Verdirb mir nicht den Appetit!« Kolja rammt ihm den Ellenbogen in die Seite.
»Habt ihr alles gepackt für morgen?«, will der Chef wissen.
Mist, statt Bratapfel mit Nussfüllung spüre ich sofort eine Faust im Magen. Wieder eine neue Schule, neue Mitschüler, Prüfungen. Auch Paolo und Kolja blödeln nicht mehr rum.
»Kannst du Kolja und mich nicht für den externen Realschulabschluss anmelden?«, mault Paolo.
»Hast du dir jemals deine Zeugnisse angeguckt?«, fragt Beck ungläubig. »Nichts gegen ehrgeizige Ziele, aber bleib mal auf dem Teppich.«
»Kann doch nicht angehen, dass wir drei gleich viele Jahre zur Schule gegangen sind.«
»Ist aber so. Bei dir und Kolja ist ein Schuljahr nicht angerechnet worden, weil zu viele Fehlzeiten dazwischen waren.«
»Warum meldest du uns nicht alle drei für den externen Realschulabschluss an?« Paolo gibt keine Ruhe.
»Geht erst ab sechzehn. Abgesehen davon ist es Blödsinn, sich von vornherein durch eine unrealistische Zielsetzung zu entmutigen.«
Paolo: »Wieso? Ich bin bald sechzehn!«
»Für den Realschulabschluss solltest du abgesehen von deinen Lebensjahren auch die von Kolja und mir an deinen Fingern abzählen können.« Ich werde am sechzehnten Januar, also in zehn Tagen, erst fünfzehn. Er hat es vergessen, wie er alles vergessen hat! Übrigens wird auch Kolja erst Ende Juli sechzehn.
Paolo haut seine Gabel in den Apfel und der heiße
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