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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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kann. 1.536  Euro Kindergeld mit Tilly. 1.357 Euro ohne Tilly.«
    So komm ich ins Spiel.
    Darum hab ich Tillys Platz eingenommen. Um der Familie zu 179 Euro mehr im Monat zu verhelfen.
    Eine Million Affen schlagen mit Kokosnüssen auf meinen Kopf ein. Ich kriege wahnsinnige Kopfschmerzen.
    »Der Alte war im Knast und sie war besser drauf als sonst. Sie hat dich echt betütelt. Eigentlich war’s bis in die Sommerferien hinein ’ne richtig schöne Zeit«, sagt Daniela. »Und das, obwohl ich dir einen Teil von meinem Zimmer abtreten musste. Du hast nie gemeckert. Manchmal hast du morgens in meinem Bett gelegen und dich an mich gedrückt. Du warst dünner als unsre Hühner.«
    »Nach den Sommerferien ist Daniela bei mir eingezogen«, sagt Mandy.
    Irgendwie lässt sie immer durchblicken, dass sie mich nicht leiden kann. Das war von jeher so, daran kann ich mich erinnern.
    »Wenn ich in dem Irrenhaus geblieben wäre, hätte ich meine Lehre nie durchgehalten«, sagt Daniela.
    Weggegangen, Platz vergangen. Eierklau. Identitätsklau.
    »Nach den Ferien bist du als Tilly Krah in die Schule gegangen. Niemand hat sich gewundert. Der Zweitälteste, Stefan, ist ja auch so ein dunkler Typ. Und alle haben gewusst, dass du bei mir aufgewachsen bist. Kathrin hat triumphiert«, sagt Mandy.
    »Du sagst ja gar nichts«, stellt Daniela fest.
    Stimmt. Ich finde keine Worte. Geht nicht.
    »Es war furchtbar, als man Tilly ausgegraben hat! Ich hab seither immer Angst«, heult Mandy. »Wenn du uns meldest, sind wir dran. Dann ist alles aus!«
    Ich bin nicht, ich bin nicht, ich bin nicht Tilly Krah.
    Es ist nicht amtlich, aber wahr. Der drohenden Amtlichkeit wegen vergießen Daniela und Mandy bittere Tränen.
    »Ich melde gar nichts«, sag ich. »Hast du noch Milch?« Ich verdurste. Mir ist schlecht.
    »Kurz nach deiner Einschulung ist der Alte entlassen worden«, sagt Daniela und schenkt mir Milch ein.
    Da setzt meine Erinnerung ein. Schlichter, alltäglicher Wahnsinn. Suff, Gebrüll, Schläge und ab über die Hecken. Ich weiß nicht, wer schlimmer war, er oder sie?
    Ich trinke Milch. »Kann ich telefonieren?«
    Daniela zeigt mir das Telefon.
    »Hallo Chef, ich wollte mich nur melden. Morgen bin ich wieder da.« Ich spreche auf seinen AB. Er ist nicht da und ich habe mein Handy in Lauterstetten liegen lassen.
    »Arbeitest du?«, fragt Mandy.
    »Ja«, sage ich.
    »Hast du damals das Jugendamt angerufen?«, fragtDaniela. »Der Alte flippt heute noch aus, wenn er mich sieht, und behauptet, ich sei’s gewesen.«
    »Nein, ich war’s«, geb ich zu.
    Nachdem das Klo wochenlang kaputt war, draußen war’s eiskalt, der volle Eimer stand neben dem Herd, hab ich an meinem elften Geburtstag, am 16. Januar 2009, das Jugendamt angerufen, nachdem er mich wieder einmal halb tot geschlagen hatte. Mein Geschenk an mich. »Christian und Stefan waren eh weg. Und du warst bei Tante Mandy. Ines, Mario und Maik sind zusammengeblieben. Die waren mehr als froh rauszukommen. Anna und Lena wollten zusammen ins Heim, aber nicht mit Mario und Maik«, sage ich.
    Es ist eine Entschuldigung und Erklärung gleichzeitig. Die sogenannte Familie Krah ist auseinandergeflogen, ist einfach explodiert. Aber es ist für uns alle dadurch nicht schlechter geworden. Gut nicht, aber besser. Ich bin woanders untergekommen, allein, auf meinen Wunsch, weil ich nachdenken musste. Drei Heime später war ich in der Jugendpsychiatrie, dann Finnland, jetzt Lauterstetten.
    Und im Moment – hier.
    »Ich gehe jetzt ins Bett.« Mandy steht wankend auf, obwohl sie nichts Stärkeres trinkt als Kamillentee. Sie stützt sich mit der einen Hand auf den Küchentisch, mit der anderen zieht sie mich hoch und sagt: »Ich hab’s dir übel genommen, dass du Tillys Platz eingenommen hast. Das tut mir wirklich leid, weil du noch sehr klein warst. Entschuldige bitte.«
    »Keine Sorge, ich verrate euch nicht«, sage ich.
    Ich schlafe auf dem Sofa im ungeheizten Wohnzimmer. Es ist eiskalt unter der klumpigen Bettdecke. Die Füllungbesteht wahrscheinlich aus vollständigem Geflügel mit Schnäbeln, Krallen, Federn, denn sie rutscht nach rechts und links weg. Direkt auf mir besteht die Bettdecke nur aus zwei Stoffschichten. So war’s immer, kalt, schwer, schmerzhaft. Zum Glück spüre ich nichts vor Müdigkeit.
    Bevor Mandy und Daniela aufstehen, bin ich weg und stehe in vollkommener Dunkelheit vorm Jägerstand. Ich weiß nicht, ob es Mandy oder Daniela in ihrem Selbstmitleid dämmert, oder ob meiner

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