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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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stürze bergab und brülle, so laut ich kann: »Erst der Schmerz, dann das Geschenk! Erst der Schlag, dann ein Keks! Zuerst kaputt machen und dann blabla! Du warst schon ein Arsch, Goedel, da war ich noch gar nicht geboren! Niemals akzeptiere ich dich als Vater!« Ich spucke das Blatt aus, das mir in den Mund gefetzt ist, und schreie: »SADIST!«
    Nicht Richtung Lauterstetten, sondern talwärts taumle ich. Am Waldrand im Forsthaus Graufels wohnt Koljas Freundin Julia. Inständig hoffe ich, dass sie und ihre Familie nicht im Urlaub sind, und bin mehr als froh, dass ihr Vater da und von wortkarger Art ist. Auf meine Sturzgeschichte hin wirft er mir einen Blick zu, murmelt »Glück gehabt« und fährt mich heim.
    »Bist du sicher, dass es Goedel war?«, fragt Kolja.
    »So sicher, wie man ohne Ausweiskontrolle sein kann, war das Goedel. Die Typen haben kein GDS-Logo auf demschwarzen T-Shirt gehabt, aber sie haben meilenweit nach Wachmannschaft geschrien.«
    »Morgen hauen wir ab, und niemand außer uns weiß, wo wir sind«, sagt Paolo zu meinem Bericht.
    Er bleibt die Nacht über bei mir und streichelt mich, bis ich null Komma null Körperspannung mehr habe.
    »Kannst du jetzt schlafen?«, flüstert er.
    Es kitzelt an meinem Ohr, und ich nicke.
    »Kannst du noch sprechen?«
    Ich schüttle den Kopf.
    Ab Stuttgart Hbf 08:51, an Halle-Neustadt 14:40.
    Ab Halle-Neustadt 15:25, an Bitterfeld 16:22.
    Kein Déjà-vu, es ist eine Wiederholung. Wir fahren Zug, die Jungs hören Musik und mampfen mir gegenüber. Ich rutsche rum, such Platz für meine Beine und spüre den Druck von Paolos Schenkel an meinem.
    STROMSCHLAG! HERZSTILLSTAND!
    Mein Schenkel brennt, er steht in Flammen! Er sieht mich an. Tiefer Fall in seine Augen. Er saugt mich fest, ich reiß mich los und bin weg.
    BRRRRRRRRRRRRRRR.
    Dreihundertdreiunddreißig Herzschläge pro Sekunde. Erst sehr viel später traue ich mich wieder aus dem Bordbistro. Die beiden pennen und auf meinem Platz liegt eine Plastikkarte. Ein Schülerausweis vom Internat Schloss Weihenstein mit meinem Bild über dem Namen Helena von Runstein . Mit einem offenen Auge sieht mich Paolo an und hält mir seinen Ausweis hin. Wir gehen ins gleiche Internat. Er heißt Markus Mann und ist volljährig.
    SCHUFT!
    »Wie heißt du?«, frag ich Kolja nach einer Weile.
    Er fummelt seine Plastikkarte aus der Gesäßtasche. »Hugo von Moorbeck, sehr altes Geschlecht.« Er grinst.
    Altes Geschlecht, ich fass es nicht. »Wozu die Rückkehr zum Feudalismus?«
    »Paolo behauptet«, sagt Kolja, »in der Ex-DDR wird man öfter nach Identitätspapieren gefragt als im Westen.«
    Ossi-Wessi-Quatsch in Verbindung mit Blaublütigen! Schlimmer kann’s nicht kommen. »Und dann zeigen wir unsre Adelswappen her, und die Bullen sind beeindruckt, denkt sich der schlaue Spaghettifresser.«
    Paolo grinst.
    Ich sag: »Itaker.«
    Paolo grinst noch breiter.
    Das zuständige Jugend- und Sozialamt für Eichwitz hat dienstags von 09:00–12:00 und 13:00–18:00 geöffnet.
    »Und wenn jemand kommt?«, wispere ich.
    »Kolja schließt den Putzraum auf. Geputzt wird morgens von sechs bis acht. Ist alles recherchiert.« Grade noch rechtzeitig haben wir es vom Bahnhof hierher geschafft und warten darauf, dass wir eingeschlossen werden.
    »Was meinst du, wo meine Akten sind?«, frage ich leise.
    »Im Archiv. Das befindet sich auch im UG«, flüstert Paolo.
    »Woher willst du das wissen?«
    »Für meine Diplomarbeit zum Thema Archiv- und Datenschutz auf Kreis- und Verwaltungsebene hab ich eine telefonische Erhebung durchgeführt.«
    Ich: »Du bist der geborene Betrüger.«
    Er: »Ja. Und treu bis in den Tod. Deshalb muss ich auch weg von meiner Familie.«
    Ich sag gar nichts mehr, bis Kolja mir einen Schubs gibt.
    »Mach dich unsichtbar und kuck nach, ob alle weg sind.«
    Ich ziehe meine Schuhe aus und nehme die Hintertreppe. An den Ecken zu den Fluren lausche ich, bis ich neben dem Rauschen der Technik mein eigenes Blut rauschen höre. Keine Macht der Welt kriegt mich dazu, von Bürotür zu Bürotür zu schleichen. Ich hab Schiss, auch wenn es totenstill ist. Vielleicht gerade deshalb. Als ich wieder im Untergeschoss ankomme, macht Kolja sich schon an der Stahltür am Ende des Flurs zu schaffen.
    Kein Zweifel, wir betreten das Archiv: lange Reihen, schmale Zwischenräume, ohne Ende Hängeregistraturen. Wir suchen nach K wie Krah. Mein archiviertes Desaster fällt Kolja in die Hände und wir entfernen sauber alle Spuren von Tilly Krah aus der

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