Wenn es daemmert
zusammengesucht, was es darüber zu wissen gab, und hatte eine Reihe Bücher zu dem Thema gelesen. Überall stand das Gleiche: Sie können sich alleine nicht helfen. Machen Sie eine Therapie.
Doch genau davor hatte er die größte Angst.
Also musste er sich doch alleine helfen. Es war in den vergangenen Jahren gut gegangen, es würde noch zwei weitere Monate gut gehen. Danach hatte er einen Job und eine eigene Wohnung, beides in London, und vielleicht würde dann alles anders sein. Er könnte abends und an den Wochenenden schreiben, wenn andere zum Tennis oder zum Golfen gingen oder sich in Pubs die Zeit vertrieben. So würde es gehen: ein geregeltes Leben in einem sicheren Umfeld. Er würde klarkommen, und irgendwann würde es schon von selbst aufhören.
Ein eigenes Büro und eine eigene Wohnung bedeuteten, dass er nicht mehr länger den Dreck der anderen ertragen musste und ganz für sich sein konnte. Sein Vater würde für all das sorgen, das stand schon fest, seit Cedric zur Welt gekommen war. Nur noch diese zwei Monate im selben Haus mit Doug und Pete, ein Arrangement, zu dem er von seinem Vater zu Studienzeiten gezwungen war, weil dieser meinte, Cedric dürfe nicht als verschrobener Einzelgänger enden und eine Wohngemeinschaft sei eine gute Erfahrung, ein soziales Training sozusagen. Cedric hatte zum Glück sein eigenes Bad. Nur noch diese zwei Monate. Jetzt, da Pepa weg war, würde ohnehin alles leichter werden.
Cedric musste bei der Werkstatt noch ein paar Minuten warten, bis sein Wagen fertig war.
»Blitzeblank, wie immer, Sir«, sagte der Besitzer der Werkstatt, »kein Staubkörnchen, da können Sie mit der Lupe suchen und finden nichts.« Er zeigte Cedric mit ernstem Stolz die tadellos gereinigten Sitze und Fußmatten, den saubersten aller Kofferräume und freute sich mit angemessener Zurückhaltung über sein wie gewohnt stattliches Trinkgeld.
Was würde er den anderen sagen, wo Pepa war?, überlegte Cedric. Zu Hause bei ihren Eltern. Eine kranke Mutter. Das schien glaubhaft. Dauernd reisten Menschen zu ihren kranken Eltern. Kranke Eltern waren eine gute Ausrede. Wenn er Glück hatte, schliefen seine Mitbewohner noch und hatten nicht einmal bemerkt, dass er über Nacht weg gewesen war. Wenn er Glück hatte. Und wenn nicht? Dann würde er sagen, er hätte sie zum Bahnhof gebracht. Unsinn, zum Flughafen. Das war eine logische Erklärung.
Nur, dass die Polizei vielleicht davon erfahren würde. Sie würden nach Pepa suchen und herausfinden, dass es keine Buchung für sie gegeben hatte. Und niemand würde von Schottland nach Rumänien mit dem Zug fahren, um die kranke Mutter …
Nein. Das ging nicht. Er würde Unwissenheit über Pepas Verschwinden vortäuschen müssen. Er durfte kein Risiko eingehen. Doug und Pete waren nicht seine Freunde, waren es noch nie gewesen. Ihnen konnte er auf keinen Fall vertrauen.
Cedric parkte auf dem Grundstück vor dem Haus, schloss den Mercedes ab und ging hinein. Er hatte kein Glück. Die beiden saßen in der Küche. Wie es aussah, waren sie gerade erst aufgestanden.
»Ah, du warst einkaufen. Hast du Schinken mitgebracht? Es ist keiner mehr da«, begrüßte ihn Doug. »Und unser Sonnenscheinchen ist auch nicht da, sonst hätte ich sie geschickt.« Als ob er das Mädchen je zum Einkaufen geschickt hatte.
»Ich habe Pepa seit gestern nicht mehr gesehen«, sagte Cedric und konzentrierte sich genau auf jede seiner Bewegungen. Er war erschöpft, er stand unter Stress, er würde nicht mehr lange durchhalten. Er musste schlafen. Langsam stellte er seine Einkaufstüten vor dem Kühlschrank ab.
»Gestern? Gestern hab ich sie auch schon nicht gesehen«, sagte Pete.
»Vorgestern meinte ich«, korrigierte sich Cedric und öffnete den Kühlschrank, um die Sachen einzuräumen.
»Was ist mit dem Schinken?«, fragte Doug.
»Ich habe keinen gekauft. Ich esse keinen. Aber Tesco ist ja zum Glück nur eine halbe Meile entfernt, nicht wahr? Ich habe schon von Leuten gehört, die diese Distanz zu Fuß zurückgelegt haben – mit Einkaufstüten.«
Doug brummte schlecht gelaunt etwas vor sich hin, und Pete fing wieder von Pepa an. Er überlegte, wo sie sich herumtreiben könnte. Seine Fragen klangen durchweg rhetorisch, sodass Cedric keine Veranlassung sah, etwas zu erwidern. Er musste endlich schlafen, sonst würde er es nicht mehr aushalten. Er sah überall nur noch Dreck, Staubkörner so groß wie Zwei-Pfund-Stücke, Milben, Bakterien … Er fühlte sie auf sich herumkriechen.
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