Wenn es daemmert
diesem Ort war jede Sicherheit so trügerisch wie der Nebel, der von der Nordsee kam und den man haar nannte. Einen Moment lang glaubte man, von ihm verschluckt zu werden und die Orientierung zu verlieren. Dann verschwand er so plötzlich wieder, wie er gekommen war, und die Sonne schien, als sei nie etwas gewesen.
Heute verschwand der haar nicht so schnell. Er war gekommen, als Cedric in der samtblauen Dunkelheit der Nacht die Stadt verlassen hatte, und er war jetzt am Morgen immer noch da, als Cedric über die Landstraße von Cupar auf St. Andrews zufuhr.
Wenn Cedric nachts nicht geschlafen hatte, fühlte er sich noch weniger im Gleichgewicht als sonst. Er verspürte den Drang, in der Mitte der Straße zu fahren, um Symmetrie herzustellen. Aber er zwang sich, auf seiner Spur zu bleiben, auch wenn er dabei das Gefühl hatte, als würden sich seine Körperhälften seltsam verziehen. Er musste duschen, unbedingt. Er fühlte, wie sich ganze Armeen von Bakterien und Bazillen auf seinen Händen tummelten, und nicht nur da. Auch das Auto war verseucht. Er musste es reinigen lassen, sonst würde ihn der Gedanke daran gleich nicht einschlafen lassen.
Diesmal fuhr er nicht zu Morrisons. Er brauchte eine Innenreinigung. Die gründlichste, die er bekommen konnte. In der Largo Road, nicht weit von Morrisons entfernt, war eine Waschstraße. Dort brachte er seinen Mercedes immer hin, wenn er besonders sauber sein musste. Sie kannten ihn schon und wussten, was er wollte.
Wie immer ging er, während er warten musste, zu Morrisons. Doch heute waren die vielen Menschen fast nicht zu ertragen. Er fragte sich, warum an einem Montagmorgen so viele Leute Zeit hatten, um einzukaufen. Der Gedanke, dass er einen Tragekorb anfassen musste, den schon hunderte andere vor ihm angefasst hatten, ließ Übelkeit in ihm aufsteigen. Aber er hatte keine Wahl. Er hatte außerdem schon so viele Bazillen und Bakterien an den Händen, dass es keinen Unterschied mehr machen würde.
Trotzdem achtete er beim Einkaufen darauf, nur Dinge zu nehmen, die ganz hinten im Regal standen. Er kaufte Wasser, denn nichts auf der Welt konnte ihn dazu bringen, Leitungswasser zu trinken. Er kaufte Brot und Butter, obwohl er nicht wusste, ob er beides brauchte. Er kaufte schließlich Hygienetücher, um seine Hände und die Einkäufe desinfizieren zu können. Die Tücher waren ihm heute Nacht ausgegangen.
Die mehr als hundert Meilen Autofahrt hatten ihm zugesetzt, denn er fuhr nicht gerne selbst, hatte aber zu wenig Vertrauen in andere, als dass er das Steuer aus der Hand geben würde. Am anstrengendsten aber war gewesen, dass er die Hälfte der Strecke mit Pepa hatte verbringen müssen. Allein mit ihr in seinem Wagen. Er hatte ihr billiges Parfüm einatmen müssen. Ihre Kleidung hatte Flusen auf seinem Beifahrersitz hinterlassen. Sicher hatte sie wieder Haare verloren, sie verlor dauernd Haare, kein Wunder, bei dieser Mähne, die ihr schmales Gesicht noch kleiner wirken ließ.
Nachdem er bezahlt hatte – mit Karte, Geld konnte er heute nicht auch noch anfassen –, räumte er alles wieder in seinen Korb, legte ein paar der frischen, neuen Plastiktüten dazu und suchte sich eine unbesetzte Kasse, um seine Einkäufe und Hände in Ruhe mit Desinfektionstüchern abwischen zu können. Dann verstaute er alles in den Plastiktüten und ging zum Ausgang. Den Korb ließ er stehen.
Auf dem Weg nach draußen versuchte er, niemandem zu nahe zu kommen. Er passte genau auf, konnte es aber doch nicht vermeiden, zwischen Zeitungsständern und Grußkartenregalen von einem alten Mann leicht am linken Oberarm gestreift zu werden. Nicht hinsehen, ermahnte sich Cedric, nicht den Mann ansehen, und rannte hinaus an die Luft, nur um dort gegen zwei mit mehreren Einkaufstüten beladene Frauen zu stoßen, die auf ein Taxi warteten. Er entschuldigte sich hastig und rannte über den Parkplatz, die Stufen zur Straße hinunter, über den Zebrastreifen, die Largo Road entlang, bis die Werkstatt in Sicht war. Er wurde langsamer und versuchte, seinen Atem zu kontrollieren, um sich nicht völlig in seiner Panikattacke zu verlieren. Es war gerade noch einmal gut gegangen.
Cedric wusste, was mit ihm los war. Er wusste, dass es sich um Zwangshandlungen handelte und wo sie herkamen. Er wusste, wann sie schlimmer wurden und wann er sie besser kontrollieren konnte. Bei Stress war es am schlimmsten, denn dann verlor er schneller die Kontrolle. Er hatte sich aus dem Internet alles
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