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Wenn es daemmert

Wenn es daemmert

Titel: Wenn es daemmert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoe Beck
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blass war. Dabei hatte er die Leiche gar nicht zu Gesicht bekommen.
    »Noch mal?«, fragte sie.
    »Zuletzt hatten wir das, als ich ein kleiner Junge war. Auch da vorne. Der 1. Mai 1950, das Datum hab ich nie vergessen. Fünf Jahre war ich alt. Bin draußen bei Ebbe zwischen den Felsen am Strand rumgesprungen, und da lag sie dann. Dachte erst, jemand hätte ein Bettlaken ins Wasser geworfen. Oder ein Stück von einem Segel. Ich war ja erst fünf. In Wirklichkeit war es ihr Nachthemd. Damals trugen Frauen noch solche Nachthemden, lang und weiß.« Er kippte die Hälfte seines Biers in einem Zug hinunter.
    »Sie sagen, dass hier schon mal eine Frau …?« James ging, ohne zu fragen, hinter die Theke und goss sich selbst einen Whisky ein. Einen dreifachen.
    Der Wirt nickte. »Lag schon ’ne Weile im Wasser. Die Fische und Vögel … Sie haben ja selbst gesehen, was die machen. Als würde das Wasser allein nicht schon genug anrichten. Da reicht schon ein Tag. Die Krähen, das sind Aasfresser.«
    Mina dachte an den Raben, tastete in ihrer Handtasche nach ihrem Tablettenfläschchen, fand es und dankte still und ohne schlechtes Gewissen der Pharmaindustrie für jahrzehntelange Tierversuche.
    Der Wirt hatte sein Bier geleert und ging nun zu James hinter die Theke, um sich ein neues zu holen. James schien zu überlegen, ob er das mit dem Whisky wiederholen sollte, denn sein Glas war ebenfalls leer. Drei Abhängige, dachte Mina. Aber ein großer Unterschied: Ich weiß wenigstens, dass ich es nicht im Griff habe.
    »Wer war das? Damals?«, fragte sie.
    »Ein Mädchen aus Kirkcaldy«, sagte der Wirt. »Keiner weiß, wie es passieren konnte, dass eine, die in Kirkcaldy ins Wasser geht, hier ankommt. Die Strömung, der Wind, das kann keiner so genau vorhersagen.«
    »Wie alt war sie?«
    »Ihr Mann sagte, sie sei zwanzig. Sie hatten ein Kind zusammen, einen Sohn. Der Arzt, der sie sich angesehen hat, der hat immer hier getrunken. Er sagte eines Abends: Die war noch keine zwanzig. Die war viel jünger, höchstens vierzehn, gerade in der Pubertät. Aber offiziell war das nicht.«
    »Was für ein Schwein muss ihr so genannter Ehemann gewesen sein …«, sagte Mina langsam.
    »Die kam nicht von hier. Keiner wusste, wie alt sie wirklich war. Da konnte der viel erzählen.«
    »Sie hat sich trotz des Kindes umgebracht?«
    »Vielleicht wegen des Kindes. Das war erst ein paar Wochen alt. Heute hat man ein Wort dafür, aber damals, da wusste man das noch nicht. Wie heißt das? Post … irgendwas mit Post …«
    »Postnatale Depression?«, half Mina.
    »Genau. Wer weiß, was die durchgemacht hat und warum die ins Wasser gegangen ist. Bevor das bekannt wurde, gab es sogar Gerüchte, sie sei eine Hexe. Ganz früher haben sie nämlich die Hexen von Pittenweem hier unten ins Wasser geworfen.«
    »Reizend«, sagte Mina. »Ich habe schon davon gehört.«
    James hatte sich für einen weiteren Whisky entschieden und nahm einen großen Schluck. »Wer sagt, dass sie sich umgebracht hat? Also das Mädchen, das Sie damals gefunden haben. Vielleicht hatte sie einen Unfall.«
    »Ist es nicht eher ungewöhnlich, sich auf diese Art umzubringen?«, fragte Mina. »Ins Wasser gehen …«
    »Nicht hier, nicht an der Küste«, sagte der Wirt. »Dass sie von den Klippen springen, vorne in Crail, das kommt oft genug vor.«
    »Meinen Sie, sie sei …«
    »Nein, von da aus geht’s gleich raus in die Nordsee. Die findet man nie wieder, wenn die Flut sie mit rausnimmt.«
    »Dann gibt es bei Kirkcaldy auch eine Steilküste?«
    »Nein, nein«, sagte der Wirt und schüttelte den Kopf. »Flach wie ein Pfannkuchen, der Strand von Kirkcaldy. Sie ist ins Wasser gegangen. Immer geradeaus marschiert.«
    »Ungewöhnlich«, wiederholte sich Mina und sah aus dem Fenster, nur um festzustellen, dass sie Recht gehabt hatte. Brady kletterte eben aus seinem Wagen, stellte sich breitbeinig vor die Absperrung und bellte einen Mann von der Spurensicherung an.
    »Oha, Chief Inspector Hunt«, sagte der Wirt und klang ungefähr so begeistert wie ein Golftourist bei Dauerregen.
    Mina musste trotz allem kichern. »Warum nennen Sie ihn so? Heißt so nicht der Typ aus ›Life on Mars‹?«
    »Der würde sich doch am liebsten selbst so nennen. Seit ihm mal jemand gesagt hat, er sähe ein bisschen aus wie der Schauspieler, wie heißt der gleich, Philip Glenister, hält er sich für den Größten und rechnet sekündlich damit, fürs Fernsehen entdeckt zu werden.«
    »Er ist bestimmt schon ein Star

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