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Wenn es daemmert

Wenn es daemmert

Titel: Wenn es daemmert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoe Beck
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bedeckt von nassen, langen schwarzen Haaren, in denen sich Algen verfangen hatten, und unter dem Haar war einmal ein Gesicht gewesen. Die Krähen hatten ihr Fest schon gefeiert, als Mina gekommen war. Sie hatten die Augen gestohlen und tiefe schwarze Löcher zurückgelassen, hatten Nase, Wangen, Mund gestohlen und eine Totenmaske geschaffen, die keines Menschen würdig war.

Berlin, Februar 1949
    Als sie durch die Dunkelheit nach Hause ging, dachte sie: Das machen alle Frauen. Schmeckte es den anderen Frauen? Ihr schmeckte es nicht.
    Vielleicht schmeckten die anderen Männer anders.
    Er sagte immer: Es wird dir schon noch Spaß machen. Aber sie fand keinen Gefallen daran. Sie würde ihre Tante fragen müssen, woran das lag.
    Vielleicht stimmte mit ihr etwas nicht.
    Vielleicht musste sie das nicht mehr so lange machen. Immerhin hatte er heute Morgen Kohlen gebracht, genug für einen Monat. Die Nachbarn hatten alle so schief geguckt.
    Vielleicht konnte sie damit aufhören, dann musste sie die Tante auch nicht fragen, ob das immer so schmeckte.
    Zu Hause war ihre Tante nicht. Ihre drei kleinen Cousinen schliefen friedlich. Licht gab es im Moment keins. Sicher würde es bald wieder angehen. Sie zündete eine Kerze an. Wenn die Kleinen fest schliefen, konnte sie gehen und die Tante suchen.
    Sie kam ihr entgegen, als sie die Wohnung verlassen wollte.
    »Wo willst du hin?«
    »Dich suchen.«
    »Ich bin jetzt hier. Los, rein, es ist kalt!«
    »In der Wohnung ist es auch kalt.«
    »Warum hast du noch nicht geheizt?«
    »Ich bin auch gerade erst gekommen. Ich dachte doch, du bist hier, bei den Kindern.«
    Ihre Tante lachte hässlich. »Stundenlang hab ich mir die Beine in den Bauch gestanden, vorne an der Kronprinzenallee, bei den Amerikanern. Keiner hat mich mit reingenommen! Die wollen keine über dreißig, und schon gar nicht eine, die so mager ist wie ich! Die können sich die Mädchen aussuchen!«
    »Das tut mir leid«, sagte sie und dachte: Kann ich sie jetzt fragen, wie Männer schmecken?
    Und was das überhaupt ist?
    Vielleicht ist es ja giftig, und er sagt es mir nur nicht?
    Vielleicht muss ich daran sterben?
    »Warum hast du dir von ihm keine Kohlen geben lassen?«
    »Er hat sie in unseren Keller gestellt.«
    »Bist du verrückt geworden?« Ihre Tante riss ihr so heftig die Kerze aus der Hand, dass sie fast erlosch. Sie rannte die Treppen hinunter. Laut und polternd. Ihre Schuhe hatten keine richtigen Sohlen mehr, sie hatte sich Lederstreifen von alten Stiefeln unter die Schuhe genagelt. Die Sohlen waren zu glatt, deshalb rutschte sie oft aus. Das kleine Feuer der Kerze flackerte.
    Vielleicht muss ich ja nie wieder hin. Wir haben Kohlen für einen Monat, und in einem Monat kann alles wieder vorbei sein. Vielleicht findet die Tante doch einen Amerikaner, der ihr etwas schenkt, sie hat mal gesagt, ihr macht das Spaß, was die Männer machen.
    Vielleicht war jetzt endlich alles gut.
    Sie ging ans Fenster und lehnte sich mit der Stirn dagegen. Es war eiskalt, sodass sie gleich wieder zurückzuckte. Ihr Atem legte sich auf die Scheibe, und sie malte mit dem Finger etwas hinein. Ein Herz. Sie wischte es schnell wieder weg.
    Aus dem Keller hörte sie einen Schrei, dann kam die Tante wieder.
    »Geh zu ihm. Los, mach schon!«
    »Jetzt?«
    »Ja, jetzt! Es ist jetzt kalt, also musst du jetzt gehen! Jetzt!«
    »Ich will …«
    »Sie haben uns alles geklaut! Kein Krümel ist mehr zum Heizen da! Geh endlich! Sei froh, dass du einen Offizier hast! Geh zu ihm, und sieh zu, dass wir es bald wieder warm haben! Na los!«
    Die Tante schob sie aus der Tür. Mantel, Handschuhe, Hut, alles warf sie ihr hinterher. Dann schlug sie die Wohnungstür zu.
    »Und beeil dich!«, rief sie ihr durch die geschlossene Tür nach.
    Im Flur war es dunkel. Der Strom war immer noch aus.

13.
    Sie saßen wieder im Larach Mhor. Die Polizei hatte das Strandstück abgesperrt. Mina wettete mit sich selbst, dass in spätestens zwanzig Minuten   DCI   Brady hier hereinspazieren würde. Eine uniformierte Polizistin hatte ihr angeboten, einen Arzt für sie kommen zu lassen, aber Mina hatte an McCallum gedacht und abgelehnt.
    »Ich muss meinen Therapeuten anrufen«, sagte sie zu James, der es, seinem Gesicht nach zu urteilen, für einen Witz hielt. Er legte seinen Arm um ihre Schultern.
    Der Wirt des Larach Mhor brachte den beiden unaufgefordert Tee und setzte sich mit seinem Bier zu ihnen.
    »Dass ich das noch mal erlebe«, stöhnte er, und Mina sah, dass er ganz

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