Wenn es dunkel wird im Märchenwald ...: Die zertanzten Schuhe
hat und nun nicht mehr lösen kann. Aber sie alle versagten. Alles, was ihnen blieb, war der Tod.“
Lykan sah Iza an und erhob sich langsam. Marek machte keine Anstalten, den Kampf neu zu entfachen. Stattdessen stand er ebenfalls auf und kam zu ihr. Sie wagte noch immer nicht, aufzusehen, auch nicht, als seine warmen Arme sich um sie schlossen.
„Sie sind alle gestorben, weil ihre Gier zu groß war“, flüsterte sie und wagte es, ihr Gesicht an seine bloße Brust zu drücken. Das klopfende Herz unter ihrer Wange beruhigte sie ein wenig und dankbar atmete sie ein. „Wer mich will, hat nur die Möglichkeit, als Wolf für immer hinter dem Spiegel zu leben. Falls du das nicht willst ...“ Ihr Blick glitt zu Lykan, der am Boden hockte und sie beide nicht aus den Augen ließ. „Dann bleibt dir nur, zu kämpfen“, sagte sie mit erstickter Stimme, weil Tränen ihre Kehle hinaufdrängten. Allein der Gedanke, dass sie Marek gefunden hatte und gleich wieder verlieren sollte, schnürte ihr das Herz zusammen.
„Nur diese beiden Möglichkeiten gibt es?“, fragte Marek nach einer Weile. Sein Atem strich über ihren Scheitel. Iza nickte.
„Nein“, antwortete er ihr und schob sie mit einem Mal beiseite. Er bückte sich und zog einen schweren Dolch, so lang wie Izas Unterarm, aus einer Scheide an seiner Wade. „Ich denke, es gibt noch eine dritte Möglichkeit.“ Noch bevor irgendeiner der Wölfe oder Iza reagieren konnten, hatte der Söldner den Arm ausgestreckt und warf den Dolch mit der Spitze voran in den massiven Spiegel, der in Abertausend funkelnde Teile zerbrach.
„Und du bist sicher, dass du nicht hierbleiben und Königin sein willst?“
Marek sah seiner frisch angetrauten Ehefrau prüfend in die Augen. Iza trug noch immer Reste des Blumenschmucks in ihrem Haar. Sie strahlte und schüttelte den Kopf. Ihre Arme lagen um seine Taille und sie schmiegte sich an seinen Rücken, während er dafür sorgte, dass das Pferd ruhig weiterlief. „Regierungsgeschäfte, diplomatische Beziehungen pflegen, Bälle und Empfänge – das ist alles eher etwas für Darcia und Lykan.“ Sie kicherte und biss Marek ins Ohr, aber dann hörte er, wie etwas Nachdenkliches in ihre Stimme trat. „Außerdem ist es nun so viele Jahre her, dass ich die Sonne sehen durfte. Ich will meine Zeit nicht mehr zwischen Mauern verbringen.“ Sie biss ihn in den Nacken, dass er lachend zusammenzuckte und der Schalk kehrte in ihre Stimme zurück. „Ich verbringe sie lieber mit dir.“
Marek lachte und legte den Kopf in den Nacken. Zum ersten Mal spürte er in diesem kargen Land die Sonne auf seinem Gesicht; nur eines von vielen Dingen, die sich in Izas Heimat geändert hatten.
Er sah Menschen an ihnen vorbei in den Wald gehen, bewaffnet mit Äxten, um frisches Holz zu schlagen. Selbst ihre Gesichter wirkten gelöst und heiter. Lag es wirklich nur daran, dass die Welt hinter dem Spiegel nicht mehr bestand? Hatte sie solch eine Auswirkung auf die Menschen und das Land gehabt?
Er erinnerte sich an den Moment, in dem sie alle im Spiegelsaal der richtigen Welt gewesen waren. Anstelle der zehn Wölfe hatten zehn Männer an der Tür gestanden. Lykan, mit dem Rücken zum Spiegel, war ebenso verblüfft gewesen, wie auch Iza. Marek war vielleicht noch am wenigsten überrascht gewesen – er hatte geahnt, dass so etwas geschehen würde, auch wenn das Risiko groß gewesen war. Wenn er sich geirrt hätte, wäre ihnen allen der Weg zurück in die richtige Welt versperrt geblieben.
Die Töchter des Königs waren im gemeinsamen Schlafzimmer aufgewacht, als wären sie nie fortgewesen und der alte Zausel war so glücklich, dass sie wach und bei ihm waren, dass er ihnen das gesamte Reich überließ.
Marek musste lächeln. Wer wusste schon, was in dem umnachteten Verstand des Alten vor sich ging und wie lange seine gute Laune anhalten würde. Bis dahin würden sich jedoch Darcia und ihr Mann Lykan um das Wohlergehen des Reiches kümmern. Und er ... nun, er hatte die beneidenswerte Aufgabe übernommen, sich um das Wohl der jüngsten Königstochter zu kümmern.
Iza riss ihn aus seinen Gedanken, weil sie seinen Kopf halb zu sich drehte. „Woher wusstest du eigentlich, dass der Fluch aufgehoben wird, wenn du den Spiegel von dieser Seite zerbrichst?“, fragte sie ihn und ihre Augen funkelten neugierig.
Marek konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Ich wusste es nicht.“
„Was? Und wenn du niemals hättest zurückkehren können, weil du den
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