Wenn Es Dunkel Wird
versetzen mich in Panik. Jetzt weißt du, warum. Konnte das wirklich Patrick Brissart sein? Und war er auch der Typ in der U-Bahn?
Wenn er nur ein bisschen weiter nach vorn aus dem Schatten des Eingangs treten würde, würde die Laterne sein Gesicht erhellen, dachte ich und so wartete ich, starrte hinüber, aber er blieb dort stehen wie versteinert. Unverwandt war sein Blick auf mein Fenster geheftet. Er musste mich eben gesehen haben, als ich das Licht angeschaltet hatte.
Die Angst drückte mir die Kehle zu. Warum gehe ich nicht runter und frage ihn einfach, wer er ist und warum er zu mir hinaufsieht?, dachte ich. Wäre das nicht das Einfachste, bevor meine Fantasie mich völlig in Panik versetzte?
Das Mädchen im Video wirkt nun sichtlich unruhig.
Da ruckt die Kamera zur Seite, verschiebt die Perspektive. Eine schwarz getigerte Katze bleibt genau vor der Linse stehen.
»Paula, geh runter!«, sagt das Mädchen und die Katze springt davon.
Aber der Bildausschnitt im Hintergrund hat sich ein wenig verändert und man sieht eine Schachtel neben dem Computer. Die Zahl der Viewer ist inzwischen auf siebenhundertzwei gestiegen.
Es vergingen wieder ein paar Tage des Wartens, da kam endlich Claas’ SMS: Sollen wir uns treffen?
Ich rief ihn sofort an.
Ich habe ihm die Mail vorgelesen.
»Soll uns wohl einschüchtern«, meinte er und ich konnte ihn vor mir sehen, in seiner typischen Haltung. »Ich bin nicht tot«, zitierte er pathetisch: »Die Posaunen heben schon an. Ich bin der Magier. Das ist doch Schwachsinn!«
»Toll, dass das so klar für dich ist. Du hast diese Mail ja auch nicht bekommen! Wenn du schon so cool bist, dann verrate mir doch bitte mal, wer mich mit diesem Schwachsinn ärgern will.« Meine Stimme klang schrill in meinen Ohren. Und ich wunderte mich, dass er so gefasst war.
»Nicht ärgern, Mel. Er will dir Angst machen. Du sollst nicht mehr schlafen, nichts mehr machen können, ohne daran zu denken.«
»Ich? Warum nur ich?«
»Keine Ahnung! Und du bist dir sicher, dass du wirklich niemandem vom Sommer erzählt hast?«
»Natürlich nicht! Was denkst du denn!«
»Okay«, sagte er, »ich hab auch dichtgehalten. Zu Julian hab ich kaum noch Kontakt – und zu Tammy …«
Ich wusste, dass er oft an sie dachte.
»Sie ist ja in L. A.«, sagte er rasch.
Ich hatte lange nachgedacht, ob ich ihm alles anvertrauen sollte. Allerdings: Wem sonst hätte ich davon erzählen sollen? Ich erzählte ihm von dem Typen in der U-Bahn und dem Typen vor dem Schuhgeschäft, der Patrick sein könnte.
»Du glaubst doch nicht an einen solchen Quatsch wie Seelenwanderung?«, meinte er.
Natürlich glaubte ich nicht dran, aber andererseits musste irgendjemand diese Nachricht ja geschrieben haben … irgendjemand, der etwas wusste.
»Mel«, unterbrach er meine Gedanken, »es gibt nur zwei Möglichkeiten. Erstens: Jemand war Zeuge oder ahnt etwas und will uns jetzt einschüchtern. Zweitens: Tammy oder Julian haben nicht dichtgehalten und entweder sie selbst oder irgendwelche Freunde wollen dich in Panik versetzen. Einfach so, just for fun.«
Claas, der Analytiker. Es klang irgendwie logisch, musste ich zugeben.
»Und wenn wir etwas in der Höhle vergessen haben. Oder wenn man die Leiche …«
»Die Stelle ist sicher«, unterbrach er mich entschieden, »da kommt man nicht einfach so hin, Mel.«
»Es gibt die verrücktesten Zufälle … Ausbau eines Wanderwegs zum Beispiel, ein Spaziergänger mit Hund ...«
»Mel! Mel, hör endlich auf! Tu mir einen Gefallen und atme mal tief durch. Es ist vorbei, okay? Wir müssen es vergessen. Wir dürfen einfach nicht mehr daran denken, nicht mehr darüber reden. Und vor allem dürfen wir nicht panisch werden und uns den falschen Leuten anvertrauen.«
»Kannst du es etwa vergessen? Denkst du wirklich nicht mehr daran? Bist du so abgebrüht?«
»Nein! Bin ich nicht. Aber ich kann nichts mehr daran ändern. Und jetzt müssen wir nach vorne denken. Ich will nach Oxford, Mel, kapierst du, und ich hab gute Chancen. Ich … ich kann einfach nicht zulassen, dass meine Zukunft … von jemandem … zerstört wird!«
»Und was heißt das?«
»Das heißt …«
Ich hörte ihn ein- und ausatmen und sah ihn vor mir, wie er mit dem Zeigefinger seine Brille hochschob.
»Wir warten ab. Falls du was Neues hörst, sagst du mir Bescheid, dann verständige ich die anderen und wir werden …«
»Wir werden … was?«, unterbrach ich ihn.
»Mensch, Mel! Jetzt entspann dich mal. Rauch was, leg
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