Wenn Es Dunkel Wird
meinst, wir sollten diesem Wichser die Kohle zahlen?«
Ein Kind weinte, es war hingefallen, sein Vater, der auf seinen Schlittschuhen unsicher dahinstakste, zog es am Arm wieder hoch, während er sich selbst nur mit Mühe auf den Kufen hielt.
»Für mich sind tausend Euro nicht gerade wenig.«
»Ich kann dir was leihen«, sagte ich.
»Und wenn es eine Falle ist?«, wandte Claas ein.
Wir beschlossen, mit Tammy und Julian zu reden.
Zwei Tage später trafen wir uns im Starbucks. Claas hatte die Geschwister zusammengetrommelt. Wir hatten Glück: Tammy war vor einer Woche aus L. A. zurückgekommen.
Ich war zehn Minuten zu früh im Starbucks, aber Claas wartete schon. Er winkte mir aus der Ecke ganz hinten.
Ohne mir etwas zu bestellen, ging ich zu ihm. Um halb zwei war es ziemlich voll und ich musste mich zwischen dicken Daunenjacken und Mänteln, die über Stühlen und Sesseln hingen, durchschlängeln. Claas wirkte ziemlich erschöpft.
»Was Neues?«, fragte ich, als ich meine Jacke auszog.
»Guck’s dir an!« Er schob mir sein Handy hin.
Ich hab’s zuerst nicht glauben können, was ich da sah. Und es dauerte ein paar Sekunden bis ich kapierte, dass das Video da auf dem Display in Frankreich bei Les Colonnes aufgenommen war. Da waren die Berge, die Straße vor der Villa … und da waren Tammy und ich.
»Du hast ein Video von uns gemacht?«
»Mel!« Er hob die Augenbrauen. »Hast du mich filmen sehen?« Er schüttelte den Kopf. »Ich hab’s per Mail gekriegt, natürlich anonym.«
»Jemand hat uns beobachtet, wie wir zu Höhle gegangen sind?«, fragte ich überflüssigerweise.
Auf dem Video sah man nun den Eingang der Höhle, in dem Tammy gerade verschwand. Dann brach das Video ab.
»Ist … ist noch mehr drauf?«
»Nein, das war alles. Aber es zeigt ja wohl ziemlich deutlich, dass wir in der Höhle waren.«
»Es zeigt gar nichts!«, rief ich aufgebracht. »Das kann überall sein!«
»Wenn man die Gegend kennt, kann man mit Sicherheit feststellen, dass es diese Höhle ist. Und wenn man dann dort nach Spuren sucht …« Er sprach nicht weiter. Sein linkes Augenlid zuckte und er kaute an einem Fingernagel. Seine sonst so spöttische Arroganz war dahin.
»Mann, Mel«, er atmete hektisch in seine Hände, »wenn irgendwas rauskommt, wenn die anfangen, jeden Stein in der Höhle rumzudrehen, dann …«
Ich schluckte. Ich hatte das Gefühl, ein Eisenträger legte sich auf meinen Nacken. Die Jungs am Tisch neben uns lachten, die Rothaarige hatte wohl gerade einen Witz erzählt. Es kam mir vor, als lachten alle im Café – nur wir waren irgendwie herausgefallen aus dem normalen Leben. Abgedriftet in ein düsteres Paralleluniversum.
Das kann alles nicht sein, dachte ich. Gleich wache ich auf und alles ist wie früher. Claas und ich reden über die Schule und meinetwegen über Quantenphysik oder Sokrates.
Aber natürlich geschah das nicht.
Sein Handy lag immer noch da mit dem eingefrorenen Bild des Höhleneingangs.
»Warum hast nur du es gekriegt?«, fragte ich Claas.
»Hab ich mich auch gefragt«, sagte er und legte die Stirn in Falten. »Und wieso nicht Julian oder Tammy, schließlich gehört deren Eltern doch das Haus. Sie sind doch viel bekannter in der Gegend als wir. Man kennt ihre Namen. Wer kennt denn meinen?«
Stimmt. Warum Claas? Warum ich?
»Hat es denn … er … aufgenommen, als er uns verfolgt hat?«, fragte ich. Er. Wir sprachen seinen Namen nicht aus. Als sei dieser Name mit einem bösen Zauber belegt.
»Auf seinem Handy waren Fotos von dir und Tammy, aber nicht das Video.«
»Aber er kann doch auch eine Kamera benutzt haben oder er hat das Video kopiert und auf seinem Handy gelöscht. Ich meine, falls er es war.«
Ich erinnerte mich, wie Claas dieses Handy und die Karte mit einem Stein zertrümmerte und im Garten vergrub.
Das Zucken um sein Auge herum wurde stärker. Abwesend fing er wieder an, an seinen Fingernägeln zu kauen.
Ich versuchte, klar und nüchtern zu denken – weil er offensichtlich nicht dazu in der Lage war.
»Aber, Claas«, sagte ich, »was zeigt dieses Video denn schon? Irgendwelche Jugendliche beim Wandern.«
»Nicht irgendwelche, Mel. Es zeigt dich und Tammy. Und Tammy geht in die Höhle, die in der Nähe, in unmittelbarer Nähe einer bestimmten Felsspalte liegt, und was da liegt, muss ich dir ja jetzt nicht wieder in Erinnerung rufen.«
»Trotzdem, dieses Video ist kein Beweis«, versuchte ich es wieder.
»Beweise lassen sich finden, Mel, glaub mir. Wir
Weitere Kostenlose Bücher