Wenn Frauen zu sehr lieben
haben ihn manipuliert. Fällt diese Herausforderung nun weg, weil sie einen liebevollen, aufmerksamen Partner haben – dann wissen sie mit ihrer Sexualität plötzlich nichts mehr anzufangen.
Anns Unbehagen ist offensichtlich. Sie schlägt mit der Faust leicht auf ihr Knie. «Warum ist Sex mit Hal für mich nicht erregend?», fragt sie und betont dabei fast jedes Wort. Sie verschränkt die Arme und sieht mich ängstlich an. «Liegt es daran, dass ich ihn vielleicht gar nicht wirklich liebe? Ist das der Grund, warum es bei uns nicht klappt?»
«Glauben Sie, dass Sie ihn lieben?», frage ich zurück.
«Ja, ich glaube schon, aber ich bin auch verwirrt, weil ich mich bei ihm so anders fühle als früher. Da ist alles ganz neu für mich. Es macht mir großen Spaß, mit ihm zusammen zu sein. Wir können über alles reden. Er kennt meine ganze Geschichte, also haben wir auch keine Geheimnisse voreinander. Ich brauche mich bei ihm überhaupt nicht zu verstellen. Ich bin genau so, wie ich bin. Das bedeutet, dass ich mich in seiner Gegenwart viel entspannter fühle, als ich es je mit einem anderen Mann erlebt habe. Ich ziehe keine große Show ab, und das ist gut. Manchmal würde es mir allerdings leichter fallen, Theater zu spielen, als entspannt zu sein und darauf zu vertrauen, dass es genügt, wenn ich einfach ich selbst bin, um das Interesse eines Mannes wachzuhalten.
Wir haben eine Menge gemeinsamer Interessen und Hobbys – Segeln und Fahrradfahren und Wandern. Unsere Wertvorstellungen sind beinahe identisch, und wenn wir uns streiten, kämpft er ohne schmutzige Tricks. So ein Streit mit Hal – das ist schon beinahe ein Vergnügen. Aber anfangs haben mich die offenen, direkten Gespräche über unsere Meinungsverschiedenheiten geängstigt. Ich war nicht daran gewöhnt, dass jemand so ehrlich und geradeheraus seine Gefühle zugibt und von mir dasselbe erwartet. Hal half mir, meine Angst zu überwinden und zu sagen, was ich dachte oder was ich von ihm brauchte, denn er hat mich für meine Ehrlichkeit nie bestraft. Wir schaffen es, jede Meinungsverschiedenheit beizulegen, und kommen dadurch einander noch näher. Er ist der beste Freund, den ich je hatte, und ich bin stolz darauf, mit ihm gesehen zu werden. Also ja – ich glaube, ich liebe ihn, aber wenn es Liebe ist, warum macht es mir dann im Bett keinen Spaß mit ihm? Es gibt nichts, was mich sexuell an ihm stören könnte, er ist auch kein schlechter Liebhaber. Er denkt an mich; er will es mir schön machen. Das ist etwas ganz Neues für mich. Er ist nicht so aggressiv wie Jim, aber ich glaube nicht, dass darin das Problem liegt. Ich weiß, dass er mich aufregend und toll findet, aber bei mir tut sich so gut wie nichts. Wenn ich daran denke, wie ich früher war, dann ist das doch unlogisch, oder?»
Ich bin froh, dass ich sie in dieser Hinsicht beruhigen kann. «Nein, Ann, das ist keineswegs unlogisch. Sie sind kein Einzelfall. Was Sie im Moment durchmachen, machen viele Frauen mit einer ähnlichen Lebensgeschichte durch; diese Frauen befinden sich im Prozess der Genesung. Das Problem entsteht, wenn sie eine Beziehung zu einem Mann eingehen, der für sie ein geeigneter Partner ist. Die Aufregung, die Herausforderung, der vertraute Knoten im Bauch – all das ist nicht da, und weil es früher zu ihrem Gefühl von Liebe einfach dazugehörte, haben sie Angst, dass dieser Beziehung etwas Entscheidendes fehlt. Was fehlt, ist die Verrücktheit, der Schmerz, die Angst, das Warten und Hoffen.
Nun haben Sie zum ersten Mal einen netten, stabilen, verlässlichen Freund, der Sie liebt, und Sie müssen nicht daran arbeiten, ihn zu ändern. Er hat bereits die Qualitäten, die Sie bei einem Mann suchen, und er ist eine feste Bindung mit Ihnen eingegangen. Der Haken ist: Sie wissen überhaupt nicht, wie Sie damit umgehen sollen, wenn Sie tatsächlich haben, was Sie wollen. Sie haben lediglich erfahren, wie es war, als Sie es nicht hatten und meinten, sich mächtig anstrengen zu müssen, um es doch noch zu bekommen. Sie sind an Sehnsucht und Ungewissheit gewöhnt. Das bewirkt eine ganze Menge Aufregung und das berühmte Herzklopfen. Will er, will er nicht? Wird er, wird er nicht? Sie wissen, wovon ich rede.»
Ann lächelt. «Ganz genau. Aber was hat das alles mit meinen sexuellen Gefühlen zu tun?»
«Nicht zu haben, was Sie wollen, ist viel stimulierender als es zu bekommen. Ein liebevoller, zärtlicher Mann wird Ihren Adrenalinpegel nie so hochtreiben wie zum Beispiel
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