Wenn Frauen zu sehr lieben
Auto, wie es halb in der Luft hing … aber er hat sich noch nicht mal bei mir gemeldet.» Den letzten Satz sprach sie mit leicht erhobener Stimme, in der ein Hauch gesunder Wut mitschwang, aber dann schien die Verzweiflung sie wieder zu überwältigen.
Für Ann, die aus Liebe tatsächlich beinahe gestorben wäre, gab es eine zentrale Frage, die Frage, die den Verlust ihres Geliebten unerklärlich und beinahe unerträglich machte: «Warum konnten wir uns sexuell so gut verstehen, so herrlich miteinander fühlen, so nahe sein, wenn sonst eigentlich gar nichts zwischen uns war? Warum hat es sexuell geklappt, aber sonst überhaupt nicht?» Als sie anfing zu weinen, sah sie aus wie ein sehr junges, sehr verletztes Kind. «Ich glaubte, durch meine völlige Hingabe könnte ich ihn dazu bringen, mich zu lieben. Ich habe ihm alles gegeben, alles, was ich geben konnte.» Sie beugte sich vor, verschränkte die Arme und schaukelte hin und her. «Oh, es tut so schrecklich weh zu wissen, dass ich das alles umsonst getan habe.»
Ann blieb zusammengekrümmt sitzen und weinte. Ihre Haltung schien auszudrücken: Der Platz, den mein Traum von Liebe eingenommen hat, ist jetzt so leer, dass ich mich darin verliere.
Schließlich konnte sie weitersprechen; ihre Stimme hatte dabei noch immer einen jämmerlichen Ton: «Ich wollte doch nie etwas anderes, als Jim glücklich machen und mit ihm zusammen sein! Ich habe nichts anderes verlangt, als ihn manchmal bei mir zu haben.»
Als Ann wieder in Weinen ausbrach, fiel mir ein, was sie mir über ihre Familie erzählt hatte, und ich fragte vorsichtig: «Erinnert Sie das nicht ein wenig an Ihre Mutter? Im Grunde wollte sie doch auch nur dann und wann Ihren Vater bei sich haben.»
Plötzlich saß sie ganz aufrecht da. «Mein Gott, das stimmt ja! Ich höre mich schon genauso an wie meine Mutter. Und dabei hatte ich mir geschworen, niemals so wie sie zu werden – niemals eine Frau zu werden, die immer wieder Selbstmordversuche macht, nur um ihren Willen zu kriegen. Mein Gott!», rief sie noch einmal, sah mich dann an und sagte leise: «Das ist wirklich furchtbar.»
Nach einer Weile antwortete ich: «Häufig müssen wir feststellen, dass wir genau das tun, was unser gleichgeschlechtlicher Elternteil getan hat, auch wenn wir fest entschlossen waren, niemals dieselben Fehler zu machen – und zwar deshalb, weil ihre Handlungen, sogar ihre Gefühle uns gelehrt haben, was es heißt, ein Mann oder eine Frau zu sein.»
«Aber ich habe doch nicht versucht, mich umzubringen, um mich an Jim zu rächen», protestierte Ann. «Ich fühlte mich einfach nur so schrecklich wertlos, so überflüssig, dass ich es nicht mehr ertragen konnte.» Sie unterbrach sich. «Vielleicht ging es meiner Mutter ja ähnlich. Ich glaube, das kommt dabei raus, wenn man mit aller Kraft versucht, jemanden zu halten, der andere, wichtigere Dinge zu tun hat.»
Ann hatte es wirklich mit aller Kraft versucht, und ihr «Lockmittel» war Sex gewesen.
In einer späteren Sitzung, als ihr Schmerz nicht mehr ganz so frisch war, kamen wir noch einmal auf dieses Thema zu sprechen. «Eigentlich war mir Sex schon immer sehr wichtig», berichtete sie in einer Mischung aus Stolz und Schuldbewusstsein, «so wichtig, dass ich während der Schulzeit manchmal Angst hatte, ich wäre vielleicht nymphomanisch.
Ich machte mir ständig Gedanken darüber, wann und wo mein Freund und ich ins Bett gehen konnten. Immer habe ich dafür gesorgt, dass wir ein Plätzchen fanden, wo wir allein sein konnten. Angeblich sollen es ja die Männer sein, die immer nur Sex im Kopf haben. Aber ich hatte viel größeres Interesse daran als mein Freund. Zumindest habe ich sehr viel mehr als er dafür riskiert, solche ungestörten Treffen überhaupt möglich zu machen.
Ann war sechzehn Jahre alt, als sie und ihr Schulfreund zum ersten Mal «aufs Ganze gingen», wie sie es ausdrückte. Er spielte Football und nahm das Training sehr ernst. Er schien der Überzeugung zu sein, dass zu viel Sex mit Ann seiner Leistungsfähigkeit auf dem Spielfeld schaden könne. Am Abend vor einem Spiel wollte er seine Ruhe haben – sie durchkreuzte seine Rückzugspläne, indem sie einen Babysitterjob für die Nachmittage annahm, wo sie ihn auf der Wohnzimmercouch verführen konnte, während der Säugling nebenan im Kinderzimmer schlief. Trotz all ihrer Anstrengungen gelang es Ann nicht, seine Leidenschaft für den Sport in eine Leidenschaft für sie umzuwandeln. Schließlich verließ
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