Wenn Frauen zu sehr lieben
mir, er hätte es nicht für so wichtig gehalten, dieser Frau von mir zu erzählen. Ich weiß noch, ich empfand Angst und einen tiefen Schmerz, als er das sagte, aber nur einen Moment lang. Dann schnitt ich diese Gefühle einfach ab und wurde «vernünftig». Meiner Ansicht nach gab es nur zwei Alternativen: Entweder konnte ich mit ihm darüber streiten oder es auf sich beruhen lassen und gar nicht erst erwarten, dass er meine Einschätzung teilte.
Es fiel mir leicht, mich für die zweite Alternative zu entscheiden. Ich machte sogar noch Witze über die ganze Angelegenheit. Ich hatte mir geschworen, niemals so zu streiten, wie ich es von meinen Eltern kannte. Allein bei dem Gedanken an eine wütende Reaktion wurde mir schon übel. Als Kind war ich nur damit beschäftigt gewesen, allen anderen Unterhaltung zu bieten, und hatte es nicht gewagt, eigene Empfindungen wirklich zuzulassen, sodass mir starke Gefühle mittlerweile richtiggehend Angst machten, mich aus dem Gleichgewicht brachten. Ich war an einem harmonischen Zusammenleben interessiert. Deshalb akzeptierte ich, was Kenneth sagte, und begrub meine Zweifel, wie ernsthaft sein Interesse an einer festen Bindung mit mir war. Ein paar Monate später heirateten wir.
Zwölf Jahre später saß ich auf Anraten einer Arbeitskollegin in der Praxis einer Therapeutin. Ich glaubte noch immer, mein Leben völlig unter Kontrolle zu haben, aber diese Freundin machte sich Sorgen um mich und bestand darauf, dass ich mich unbedingt nach professioneller Hilfe umsah.
Kenneth und ich waren seit zwölf Jahren verheiratet, und ich hatte unsere Ehe für sehr glücklich gehalten. Aber in dieser Zeit lebten wir auf meinen Vorschlag hin bereits getrennt. Die Therapeutin fragte mich eindringlich: Was war schiefgegangen? Ich redete ausführlich über die verschiedensten Dinge und erwähnte irgendwann zwischendurch, dass er abends oft weggegangen war, zuerst ein- oder zweimal, dann drei- bis viermal pro Woche. Seit etwa sechs Jahren war er nur noch eine Nacht pro Woche zu Hause gewesen. Irgendwann hatte ich dann zu ihm gesagt, mir käme es allmählich so vor, als wolle er eigentlich woanders sein, also wäre es vielleicht besser, wenn er ausziehen würde.
Die Therapeutin fragte mich, ob ich wüsste, wo er an all den Abenden, in all den Nächten gewesen sei, und ich antwortete ihr, das wüsste ich nicht, ich hätte ihn nie danach gefragt. Ich erinnere mich noch an ihren völlig überraschten Gesichtsausdruck. «All diese Nächte, all die Jahre lang, und Sie haben ihn
nie
gefragt?» Ich sagte, nein, nie, ich glaubte eben, dass sich Ehepartner gegenseitig ihren Freiraum lassen müssten. Ich hätte allerdings mit ihm darüber gesprochen, dass er sich mehr Zeit für unseren Sohn Thad nehmen sollte. Das hatte er jedes Mal eingesehen. Trotzdem war er abends weiterhin weggegangen, selbst wenn er sonntags hin und wieder etwas mit uns unternahm. Ich hatte mich dazu entschlossen, ihn für einen nicht besonders intelligenten Menschen zu halten, der eben diese endlosen Vorträge von mir brauchte, um einen halbwegs guten Vater abzugeben. Ich konnte mir nie eingestehen, dass er immer genau das tat, was er tun wollte, und dass ich ihn um keinen Preis würde ändern können. Obwohl ich mir enorme Mühe gab, mich richtig zu verhalten, wurde es mit den Jahren immer schlimmer. Während der ersten Sitzung fragte mich die Therapeutin: «Was glauben Sie denn, wo Ihr Mann sich aufgehalten hat, wenn er nicht zu Hause war?» Über diese Frage ärgerte ich mich. Ich wollte einfach nicht darüber nachdenken, denn nur solange ich diese Gedanken verdrängen konnte, brauchte ich auch nicht zu leiden.
Heute weiß ich, dass Kenneth nicht fähig war, monogam zu leben, obwohl er die Sicherheit einer festen Beziehung zu schätzen wusste. Es hatte genügend Anzeichen für seine Haltung gegeben, nicht nur während unserer Ehe, sondern auch schon vorher: Bei Betriebsausflügen verschwand er für Stunden, auf Partys begann er eine Unterhaltung mit irgendeiner Frau und ging dann mit ihr einfach weg. Ohne darüber nachzudenken, was ich in einer solchen Situation eigentlich tat, wurde ich besonders charmant, um die anderen Leute von dem abzulenken, was sich da abspielte, und um zu zeigen, dass ich kein Spielverderber war … vielleicht aber auch, um zu beweisen, dass ich liebenswert war, keine Frau, vor der der Freund oder Ehemann am liebsten Reißaus nehmen würde.
Erst in der Therapie und erst nach ziemlich vielen Sitzungen
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