Wenn Frauen zu sehr lieben
eine geschiedene Frau zu sein. Wenn andere Kinder zu uns nach Hause kamen, fühlte sie sich sehr unbehaglich. Wir waren arm und mussten kämpfen, um über die Runden zu kommen, aber gleichzeitig hatten wir das immense Bedürfnis, den Schein aufrechtzuerhalten. Und das war einfacher, wenn andere Leute nicht mitbekamen, wie es bei uns daheim aussah. Deshalb machte unser Haus – gelinde gesagt – auch keinen besonders einladenden Eindruck.
Wenn ich von Freunden aufgefordert wurde, bei ihnen zu übernachten, erklärte meine Mutter mir: «Das meinen sie gar nicht so ernst.» Wahrscheinlich wollte sie damit Gegeneinladungen von vornherein ausschließen, aber das erkannte ich natürlich nicht; ich war ja noch ein Kind. Ich glaubte deshalb, was sie mir sagte: dass andere Leute eigentlich nichts mit mir zu tun haben wollten.
Ich wuchs in der Gewissheit auf: Mit mir stimmt etwas nicht. Ich wusste nicht genau was, aber es hatte auf jeden Fall damit zu tun, unerwünscht und nicht liebenswert zu sein. Bei uns zu Hause gab es keine Liebe, nur Pflichten. Am schlimmsten war für mich, dass wir niemals über die große Lüge reden konnten, die wir gemeinsam aufrechterhielten: besser auszusehen, als wir waren – glücklicher, wohlhabender, erfolgreicher. Obwohl der diesbezügliche Druck ganz massiv war, blieb er unausgesprochen. Ich hatte nicht das Gefühl, es jemals fertigbringen zu können, dieses Schweigen, dieses Tabu zu brechen. Ich lebte mit der Angst, jeden Moment könne herauskommen, dass ich einfach nicht so gut wie alle anderen war. Zwar hatte ich gelernt, mich hübsch anzuziehen und gute schulische Leistungen zu erbringen, aber ich fühlte mich immer wie eine Betrügerin, denn innerlich war alles rissig, bis ins Mark. Wenn mich jemand mochte, dann lag es nur daran, dass er mich noch nicht durchschaut hatte. Bald würde er herausfinden, wer ich wirklich war, und mich gleich fallenlassen.
Ohne Vater aufzuwachsen machte die ganze Sache wohl noch schlimmer, denn ich lernte nie, mit männlichen Wesen gleichberechtigt oder zumindest ungezwungen umzugehen. Sie waren für mich wie exotische Tiere, abstoßend und faszinierend zugleich. Meine Mutter erzählte mir nicht viel über meinen Vater, aber das bisschen, was sie sagte, ließ mich nicht gerade stolz auf ihn sein, und so stellte ich ihr auch keine weiteren Fragen; ich hatte Angst vor dem, was ich möglicherweise erfahren würde. Sie mochte Männer überhaupt nicht so gern und gab mir zu verstehen, dass sie im Grunde genommen gefährlich, egoistisch und nicht vertrauenswürdig seien. Aber ich konnte mir nicht helfen. Ich fand Männer faszinierend; schon die kleinen Jungen im Kindergarten hatten es mir angetan. Irgendetwas fehlte in meinem Leben, aber ich wusste beim besten Willen nicht, was. Wahrscheinlich wollte ich schrecklich gern jemandem nahe sein, Zuneigung geben und empfangen. Männer und Frauen sollten sich doch eigentlich lieben – das wusste ich –, aber meine Mutter erklärte mir indirekt, manchmal auch ziemlich direkt, dass die Männer uns Frauen nicht glücklich machten, sondern unglücklich – indem sie uns verließen, mit unserer besten Freundin durchbrannten oder uns auf andere Weise betrogen. Mit solchen Geschichten wurde ich groß. Vermutlich habe ich schon sehr früh beschlossen, mir jemanden zu suchen, der mich nicht verlassen würde, nicht verlassen könnte, also vielleicht jemanden, den keine andere Frau haben wollte. Dann vergaß ich, dass ich eine solche Entscheidung je getroffen hatte. Ich verhielt mich nur weiterhin dementsprechend.
Ohne dass es mir damals bewusst gewesen wäre, konnte ich doch nur mit jemandem – insbesondere einem Mann – zusammen sein, wenn er mich brauchte. Der würde mich schon deshalb nicht verlassen, weil ich ihm half und er mir dafür dankbar war.
Es dürfte wohl niemanden überraschen, dass mein erster Freund behindert war. Bei einem schweren Autounfall hatte er sich seine Wirbelsäule gebrochen. Er trug Beinschienen und ging auf Krücken. Nachts betete ich oft, Gott möge sein Leiden von ihm nehmen und es stattdessen mir auferlegen. Wir gingen zusammen zu Tanzveranstaltungen, und ich blieb den ganzen Abend bei ihm sitzen. Er war wirklich ein netter Junge, und allein deshalb wäre sicher so manches Mädchen gern mit ihm befreundet gewesen. Aber ich hatte andere Gründe. Ich war mit ihm zusammen, weil es sicher war; ich tat ihm sozusagen einen Gefallen, und darum konnte er mich nicht zurückweisen, mir nicht
Weitere Kostenlose Bücher