Wenn Frauen zu sehr lieben
Methoden entwickeln könnte, um sich selbst zu schützen. Zu diesen Methoden gehört die
Verleugnung
, ein starker Abwehrmechanismus, und ein ebenso starkes, unbewusstes Motiv, die
Kontrolle
. Wir alle schützen uns unbewusst immer wieder mit Hilfe der Verleugnung, ganz gleich, ob es um eher belanglose Dinge oder um wichtige Angelegenheiten und Ereignisse geht. Sonst wären wir ständig damit konfrontiert, wer wir sind, was wir denken und fühlen. Wir müssten Tatsachen ins Auge sehen, die weder unserem idealisierten Selbstbild noch unseren gegenwärtigen Lebensumständen gerecht würden. Verleugnung dient vor allem dem Nichtbeachten von Informationen, mit denen wir uns nicht auseinandersetzen wollen. Das Heranwachsen eines Kindes zu ignorieren (zu verleugnen) ist zum Beispiel eine Form, die eigenen Gefühle hinsichtlich des baldigen Auszugs dieses Kindes aus dem Elternhaus zu leugnen. Die Gewichtszunahme, die sich im Spiegel und am zu eng gewordenen Hosenbund zeigt, nicht zu sehen und nicht zu fühlen (zu verleugnen), gestattet uns, auch weiterhin in leiblichen Genüssen zu schwelgen.
Verleugnung lässt sich als Weigerung definieren, die Realität auf zwei verschiedenen Ebenen anzuerkennen: auf der Ebene dessen, was tatsächlich geschieht, und auf der Gefühlsebene.
Welche Rolle spielt nun die Verleugnung, wenn aus einem kleinen Mädchen eine Frau wird, die zu sehr liebt? Beispielsweise mag sie einen Vater gehabt haben, der wegen seiner außerehelichen Aktivitäten nachts häufig nicht nach Hause kam. Wenn sie sich selbst einredet oder wenn ihr von anderen Familienmitgliedern eingeredet wird, der Vater müsse schon wieder so lange arbeiten, dann leugnet sie, dass es zwischen ihren Eltern Probleme gibt oder dass etwas Ungewöhnliches vor sich geht. Damit verhindert sie, Angst um die Stabilität ihrer Familie oder um ihr eigenes Wohlergehen spüren zu müssen. Indem sie sich einredet, der Vater würde hart arbeiten, wird Mitgefühl in ihr wach, aber eben nicht Ärger und Wut, die nur durch die Auseinandersetzung mit der Realität fühlbar würden. Somit leugnet sie zwei wesentliche Dinge: die Realität selbst und ihre Gefühle hinsichtlich dieser Realität. Sie schafft sich stattdessen eine Phantasie, mit der es sich leichter leben lässt. Mit der Zeit entwickelt sie die Fähigkeit, sich auf diese Weise generell vor Schmerzen und Kummer zu schützen. Zugleich verliert sie allerdings eine andere Fähigkeit: freie Entscheidungen für ihre eigene Person zu treffen. Der Verleugnungsmechanismus stellt sich automatisch, ungewollt ein.
In
jeder
dysfunktionalen Familie wird ein Stück Realität gemeinsam geleugnet. Ganz gleich, wie schwerwiegend die Probleme auch sein mögen – eine Familie ist erst dysfunktional, wenn diese Verleugnung einsetzt. Wenn nun ein Familienmitglied versucht, diese Verleugnung aufzuheben, beispielsweise indem es die familiäre Situation zutreffend benennt, dann setzt sich gewöhnlich der Rest der Familie gegen diese Wahrnehmung zur Wehr. Häufig wird Spott dazu benutzt, diese Person in die Familie wieder einzugliedern. Misslingt der Versuch, dann wird das abtrünnige Familienmitglied ausgeschlossen; Anerkennung, Zuwendung und Einbeziehung bleiben ihm in Zukunft versagt.
Niemand, der sich der Verleugnung als Abwehrmechanismus bedient, entscheidet sich bewusst dafür, die Realität auszublenden, gleichsam Scheuklappen zu tragen; niemand will bewusst nicht mehr zur Kenntnis nehmen, was andere sagen und tun. Genauso wenig beschließt jemand bewusst, die eigenen Gefühle nicht mehr wahrzunehmen. So etwas «passiert einfach», wenn das Ich bei dem Versuch, sich vor überwältigenden Konflikten, Belastungen und Ängsten zu schützen, bestimmte Informationen nicht annimmt oder sogar löscht, weil sie zu unangenehm sind.
Nehmen wir an, ein Mädchen namens Carolyn, dessen Eltern regelmäßig Streit haben, lädt seine Freundin zum Übernachten ein. Mitten in der Nacht werden die beiden durch die lautstarke Auseinandersetzung der Eltern wach. Die Freundin flüstert: «Was machen denn deine Eltern für einen Krach? Warum schreien die denn so?»
Carolyn, die während vieler solcher Streitereien wachgelegen hat, ist sehr verlegen und antwortet unbestimmt: «Das weiß ich auch nicht», bleibt sich aber der ganzen unangenehmen Situation quälend bewusst. Die Freundin versteht nicht, warum Carolyn ihr nach diesem Ereignis aus dem Weg geht.
Sie wird gemieden, weil sie Zeugin des Familiengeheimnisses wurde und
Weitere Kostenlose Bücher