Wenn Ich Bleibe
kantigen Kiefern schieben mir einen Schlauch in den Hals, befestigen daran einen Beutel mit einem Gummiballon und fangen an zu pumpen. »Wie lange dauert es, bis ein Rettungshubschrauber am Krankenhaus sein kann?«, fragt sie.
»Zehn Minuten«, antwortet der Sanitäter. »Aber vorher brauchen wir zwanzig Minuten zurück in die Stadt.«
»Wir müssen es in einer Viertelstunde schaffen, selbst wenn du fahren musst wie ein Irrer.«
Ich weiß, was der Mann denkt. Dass es mir nichts
bringt, wenn er auch noch einen Unfall bauen würde, und da muss ich ihm recht geben. Aber er sagt nichts. Presst nur die Zähne zusammen. Sie laden mich in den Krankenwagen; die Rothaarige klettert hinten zu mir in den Transportraum. Mit der einen Hand pumpt sie den Beutel auf, und mit der anderen richtet sie die Kabel und die Geräte, mit denen mein Körper verbunden ist. Dann streicht sie mir eine Locke aus der Stirn.
»Du bleibst schön da, hörst du?«, sagt sie zu mir.
Mein erstes Konzert gab ich mit zehn. Damals spielte ich seit zwei Jahren Cello. Anfangs nur in der Schule, im Rahmen des Musikunterrichts. Es war Zufall, dass die Schule überhaupt ein Cello besaß; Cellos sind sehr teuer und zerbrechlich. Aber irgendein alter Literaturprofessor von der Universität war gestorben und hatte sein Cello der Schule vermacht. Das Instrument stand eigentlich bloß in der Ecke. Die meisten Kinder wollten Gitarre oder Saxophon spielen.
Als ich meinen Eltern verkündete, dass ich Cellistin werden wollte, brachen beide in Gelächter aus. Sie entschuldigten sich später dafür und meinten, dass die Vorstellung meiner winzig kleinen Gestalt mit einem solch monströsen Instrument zwischen meinen spindeldürren Beinen einfach zu komisch gewesen sei. Nachdem sie festgestellt hatten, dass es mir ernst damit war, schluckten sie ihr Gekicher herunter und setzten interessierte und anerkennende Mienen auf.
Aber ihre Reaktion verletzte mich trotzdem – ich habe ihnen das nie gesagt, und ich bin mir auch nicht sicher, ob sie mich verstanden hätten. Mein Vater witzelte manchmal, dass man mich in dem Krankenhaus, in dem ich geboren wurde, offensichtlich vertauscht hatte, weil ich überhaupt nicht aussah wie der Rest meiner Familie. Sie sind alle blond und hellhäutig, und ich bin mit meinen braunen Haaren und den dunklen Augen wie ein Fotonegativ von ihnen. Aber als ich älter wurde, bekam der Scherz meines Vaters eine andere Dimension, eine, die er wohl nie beabsichtigt hatte. Manchmal fühlte ich mich wirklich, als wäre ich einem anderen Stamm entsprungen. Ich war nicht wie mein aufgeschlossener, zu Ironie neigender Vater oder meine lebhafte Mutter, die nie ein Blatt vor den Mund nahm. Und als ob ich dem Ganzen auch noch einen Stempel aufdrücken wollte, entschied ich mich nicht für die E-Gitarre, sondern für das Cello.
Aber in meiner Familie war das Musizieren wichtiger als die Art von Musik, die man spielte, und als nach einigen Monaten klar wurde, dass meine Liebe für das Cello keine vergängliche Schwärmerei war, mieteten meine Eltern ein Instrument für mich, damit ich auch zu Hause üben konnte. Quietschende Tonleitern und Dreiklänge führten mich zu einfachen Kinderliedern, dann leichten Etüden, bis ich Bach-Suiten spielte. Das Musikangebot an meiner Schule war nicht besonders umfangreich, und so engagierte meine Mutter einen
Privatlehrer für mich, einen Collegestudenten, der einmal die Woche zu uns kam. Über die Jahre unterrichteten mich etliche Studenten, bis sie schließlich, als mein Können das ihre übertraf, gemeinsam mit mir spielten.
So ging es bis zur neunten Klasse. Dann fragte mein Vater, der Professor Christie aus der Zeit kannte, als er in dem Plattenladen gearbeitet hatte, ob sie mir Privatstunden geben würde. Sie ließ sich darauf ein, mich vorspielen zu lassen, wobei sie offensichtlich keine großen Erwartungen hatte, aber sie tat es aus Gefälligkeit, meinem Vater zuliebe, wie sie mir später gestand. Sie und Dad lauschten unten im Wohnzimmer, während ich oben in meinem Zimmer eine Sonate von Vivaldi einstudierte. Als ich zum Abendessen nach unten kam, bot sie mir an, meine Ausbildung zu übernehmen.
Aber mein erstes Konzert gab ich, lange bevor ich sie kennenlernte. Es war in einem Saal in der Stadt, in dem normalerweise die hiesigen Bands herumklimperten. Die Akustik war ausschließlich für Musik ausgerichtet, die über den Verstärker kam. Es war schrecklich. Ich sollte ein Cellosolo aus dem Stück Tanz
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