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Wenn Ich Bleibe

Titel: Wenn Ich Bleibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gayle Forman
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das Ich auf der Trage scheint ebenfalls nichts zu fühlen. Wieder frage ich mich, ob ich tot bin, doch dann sage ich mir, dass ich es wohl nicht sein kann. Sie hätten mich nicht in diesen Helikopter geladen und würden mich nicht quer über die Wälder fliegen, wenn ich tot wäre.
    Außerdem würde ich mir wünschen, dass meine Mutter und mein Vater mich holen kommen, wenn ich sterbe.
    Ich kann die Zeitanzeige auf dem Kontrollfeld erkennen. Es ist 10.37 Uhr. Ich frage mich, was jetzt unten auf dem Boden vor sich geht. Hat Willow mittlerweile erfahren, um wen es sich bei dem Notfall handelt? Hat irgendjemand meine Großeltern angerufen? Sie wohnen in unserem Nachbarort, und ich habe
mich auf das Abendessen bei ihnen gefreut. Gramps angelt, und er räuchert die Lachse und Austern selbst, und wahrscheinlich hätten wir dazu hausgemachtes braunes Malzbrot gegessen. Dann hätte meine Großmutter Teddy zu den riesigen Recycling-Containern mitgenommen, wo er nach alten Zeitschriften gekramt hätte. Neuerdings steht er auf Reader’s Digest . Er schneidet die Cartoons aus und macht daraus Collagen.
    Ich denke an Kim. Heute ist keine Schule. Und so, wie es aussieht, werde ich auch morgen nicht in die Schule gehen. Wahrscheinlich wird Kim denken, dass ich zu Hause bleibe, weil ich am Abend beim Konzert von »Shooting Star« in Portland gewesen bin.
    Portland. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man mich dorthin bringt. Der Hubschrauberpilot redet ständig mit der Unfallchirurgie. Ich schaue aus dem Fenster und sehe den Gipfel von Mount Hood vor uns. Das heißt, dass Portland nicht mehr weit ist.
    Ob Adam schon in der Stadt ist? Er hat gestern Abend in Seattle gespielt, aber nach einem Auftritt ist er immer so voller Energie, und das Autofahren hilft ihm, sich zu beruhigen. Die Bandmitglieder sind normalerweise froh, wenn er fährt und sie schlafen können. Wenn er schon in Portland ist, schläft er vermutlich noch. Wird er nach dem Aufwachen im Hawthorne-Street-Café einen Kaffee trinken? Vielleicht nimmt er sich ein Buch und geht in den Japanischen Garten. Das haben wir das letzte Mal gemacht, als ich mit ihm in
Portland war, allerdings war es da wärmer. Später am Nachmittag wird die Band einen Soundcheck machen. Und dann wird Adam nach draußen gehen und auf mich warten. Anfangs wird er glauben, dass ich mich verspätet habe. Woher soll er auch wissen, dass ich in Wirklichkeit viel zu früh eintreffe? Dass ich an diesem Morgen nach Portland komme, wo noch Schnee über dem Land liegt?
     
    »Hast du schon mal von diesem Typen gehört, diesem Yo-Yo Ma?«, fragte mich Adam. Ich war in der zweiten Highschoolklasse und er in der vorletzten. Es war Frühling. Seit Monaten hatte Adam mich im Musiktrakt unserer Schule beobachtet. Es ist eine staatliche Schule, aber eine von diesen fortschrittlichen, die immer wieder in Fachzeitschriften erwähnt werden, weil sie sich für Kunst und Musik engagieren. Wir hatten etliche Freistunden, um in den Ateliers zu malen oder in den Musikzimmern zu üben. Ich verbrachte meine in einem schalldichten Raum im Musiktrakt. Auch Adam war oft da und spielte Gitarre. Nicht auf der E-Gitarre, wie bei »Shooting Star«, sondern auf der Akustikgitarre.
    Ich rollte mit den Augen. »Jeder hat schon von Yo-Yo Ma gehört.«
    Adam grinste. Ich bemerkte zum ersten Mal, dass sein Lächeln schief war, dass sich nur sein einer Mundwinkel nach oben zog. Er deutete mit dem Daumen hinaus
auf den Schulhof. »Ich glaube nicht, dass du da draußen fünf Leute finden wirst, die wissen, wer Yo-Yo Ma ist. Und überhaupt, was für ein Name ist das eigentlich? Kommt der Kerl aus dem Ghetto? Yo Mama?«
    »Er ist Chinese.«
    Adam schüttelte den Kopf und lachte. »Ich kenne eine Menge Chinesen. Die haben so komische Namen wie Wei Chin. Oder Lee Irgendwas. Nicht Yo-Yo Ma.«
    »Du sollst den Meister nicht lästern«, sagte ich. Aber dann lachte ich, trotz allem. Es hatte Monate gedauert zu begreifen, dass sich Adam nicht über mich lustig machte, und danach hatten wir uns ab und zu auf dem Flur unterhalten.
    Trotzdem verblüffte mich sein Interesse nach wie vor. Es war nicht so, dass Adam außerordentlich beliebt war. Er war kein Ass in Sport oder Klassenbester oder so etwas. Aber er war cool. Er war cool, denn er spielte in einer Band mit Leuten, die aufs College in der Stadt gingen. Cool, weil er seinen eigenen Stil hatte, meist zusammengeklaubt aus Secondhandläden und von Flohmärkten, nicht in den schicken

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