Wenn ich dich gefunden habe
sonst tun sollen? Er hatte ohnehin nicht damit gerechnet, dass sein Glück von Dauer sein würde.
Sie waren zusammengezogen.
Stanley hatte angenommen, Cormac würde Reißaus nehmen, sobald sich der Reiz des Neuen verflüchtigt hatte, doch als das Baby zur Welt kam, waren die beiden immer
noch zusammen. Stanley war überzeugt gewesen, dass Cormac nach drei Monaten die Nase voll haben würde von Koliken, Windelnwechseln und nächtlichem Fläschchengeben. Doch jetzt, fünfzehn Monate später, gaben die zwei ihre Verlobung bekannt.
All diese Gedanken rasten Stanley nach Cormacs Ankündigung binnen Sekundenbruchteilen durch den Kopf. Es war, als würde vor seinem inneren Auge im Zeitraffer ein Film ablaufen, den er gar nicht sehen wollte. Und dann, nach einer kaum merklichen Pause, erhob er sich, so rasch, dass er mit den Kniekehlen an die massive Holzbank stieß. Er registrierte den ängstlichen Blick seiner Mutter, die offenbar fürchtete, ihr Jüngster könnte ihrem Ältesten seinen Teller an den Kopf werfen. Wahrscheinlich verfluchte sie sich gerade dafür, dass sie statt dem guten Sonntagsporzellan nicht das andere Geschirr genommen hatte, das fünfzehn Jahre alt und ohnehin schon angeschlagen war. Doch Stanley hob lediglich sein Glas und prostete Cormac und Cora lächelnd zu. »Ich gratuliere.« Die übrigen Anwesenden musterten ihn prüfend, und wie es schien, wirkte sein Lächeln aufrichtig genug, denn sie sprangen erleichtert auf und schlossen sich seinen Glückwünschen an. Dann erwachte zum Glück das Baby – kein Wunder, bei dem ausgelassenen Geschrei, in dem sich die Anspannung entladen hatte – und Cora erhob sich (wie üblich mit einem Seufzer), um die Kleine zu beruhigen, sodass sich Stanley nicht weiter zu einem aufrichtigen Lächeln zwingen musste. Einmal hatte er es geschafft, ein zweites Mal würde es ihm wohl kaum mehr gelingen.
Später räumte er das Geschirr in die Spülmaschine und bearbeitete die Töpfe und Pfannen mit einem Stahlwolleschwämmchen,
wobei er mit gespielter Fröhlichkeit vor sich hin pfiff, um nicht den Anschein zu erwecken, dass er sich in der Küche verkrochen hatte, um seiner Familie und vor allem Cora aus dem Weg zu gehen.
»Hallo, Stanley.«
Er wusste, wer hereingekommen war, ohne sich die Haare aus der Stirn zu streifen, und zwang sich erneut zu einem Lächeln. »Cora.« Locker, lässig, sorglos. Ungefähr so wollte er klingen.
»Angenehm ruhig hier«, sagte sie und trat zu ihm. »Verglichen mit dem Krach da draußen.« Ihr blondes Haar fiel ihr ins Gesicht, als sie mit dem Kopf in Richtung Esszimmer deutete. Sie schlüpfte aus den Schuhen und stellte sich neben ihn. Er erinnerte sich an ihre schmalen, langen Füße, das hohe Gewölbe, daran, wie sie sich angefühlt hatten, wenn er sie geknetet und massiert hatte. Das hatte sie geliebt, vor allem nach einer ausgiebigen Shoppingtour. Selbst barfuß war sie fünf Zentimeter größer als er. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Kann ich etwas für dich tun?«, fragte sie und leckte sich die Lippen, ehe sie einen sehr rosaroten Schmollmund machte. Stanley wusste, sie wollte nur freundlich sein. Hilfsbereit. Es lag an seiner hyperaktiven Fantasie, dass ihre Frage so … zweideutig klang. Im Geiste gab er sich selbst einen Klaps auf den Hinterkopf, dabei hätte er eigentlich eher einen Hieb mit der geballten Faust verdient. Jedenfalls hätten das seine Brüder getan, wenn sie zu imaginärer Gewalt gegen sich selbst tendieren würden. Dann trat er einen Schritt zur Seite, sodass Cora nichts anderes übrig blieb, als die Hand sinken zu lassen. Er sah sich panisch nach weiterem schmutzigem Geschirr um. Von seinen Händen tropfte Schaum auf die Bodenfliesen.
»Äh, nein, nicht nötig, ich bin fast fertig. Aber danke, Cora.«
»Darf ich mal?« Sie nahm ein Geschirrtuch und wickelte es um seine Hände. »Du tropfst ja alles voll.«
Jetzt stieg ihm auch noch ihr Geruch in die Nase. Sie roch wie früher, selbst nach all der Zeit. Bestimmt verwendete sie ein anderes Parfüm und eine andere Hautcreme, aber ihr Körpergeruch war derselbe. Der Duft absoluter Sauberkeit. Stanley hielt die Luft an und übte sein Lächeln.
Dann stand Cormac in der Tür. »Na, Stanley, was treibst du wieder?«, fragte er grinsend. Stanley wusste, dass Cormac ihm kein bisschen misstraute.
»Ich war gerade dabei …«
»Stanley hat mal wieder euren Dreck weggemacht«, sagte Cora. »Du solltest dir mal ein Beispiel an ihm nehmen.«
»Da
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