Wenn ich dich gefunden habe
Mal seit zwei Tagen das Haus verließ, verspürte sie eine mit Schuldgefühlen durchsetzte Erleichterung.
Miss Pettigrew hatte seit fünf Jahren keinen Fuß vor die Tür gesetzt. Als Dara anfing, mit Edward Gassi zu gehen, der damals noch ein Welpe gewesen war, hatte sich Miss Pettigrew noch hin und wieder zu den Läden um die Ecke oder zum Tierarzt gewagt. Manchmal, an guten Tagen, war sie sogar zum St Anne’s Park spaziert, aber nur bis zum Tor.
Doch in den vergangenen fünf Jahren hatte sie – soweit Dara wusste – ihr Haus nicht mehr verlassen.
Was man ihr allerdings nicht ansah. Die alte Dame hatte den beschwingten Gang einer jungen Frau. Dara wusste nicht, wie alt sie war, und Dara war viel zu höflich, um sie danach zu fragen, dabei war Miss Pettigrew seit Jahrzehnten ihre Nachbarin. Sie hatte schon hier gelebt, als Mr. Flood auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Altersflecken zierten ihre langen, schmalen Hände, und ihre Haut war von unzähligen Falten durchzogen wie von einem Spinnennetz, obwohl sie sich ständig irgendwelche
Cremes ins Gesicht schmierte. Sie trug das schneeweiße Haar stets zu einem Nackenknoten frisiert, schminkte sich mit der Sorgfalt einer Debütantin und weigerte sich, ihre Brille zu tragen, obwohl sie ohne so gut wie blind war.
Dara klopfte wie üblich dreimal langsam, zweimal schnell, dann schloss sie mit dem Schlüssel, den ihr Miss Pettigrew vor Jahren anvertraut hatte, die Tür auf.
Drinnen roch es wie immer nach Edward und 4711, Miss Pettigrews Lieblingsparfüm.
»Hallo«, rief Dara. »Ich bin’s.«
»Wer sollte es denn sonst sein?« Miss Pettigrew sprach mit unverkennbar britischem Akzent, als hätte sie London nie verlassen.
»Na ja, es könnte ein Einbrecher sein oder jemand, der Pflastersteine verkauft.« Dara schlüpfte aus ihrem grauen Anorak und stellte einen Teller Makronen auf die Anrichte in der Küche. Sie hörte, wie sich Miss Pettigrew aus dem riesigen Lehnsessel quälte, von dem aus sie durchs Wohnzimmerfenster »ein Auge auf alles hatte«.
»Dieses Hausiererpack belästigt mich nicht mehr. Denen hab ich’s ein für alle Mal gezeigt.«
Die winzige Gestalt, die nun in die Küche trat, wollte nicht so recht zu ihrer Stimme passen. Dafür war Miss Pettigrew wie immer perfekt zurechtgemacht. Ihre makellosen, langen Fingernägel waren lila lackiert. »Lila ist in«, erklärte sie auf Daras bewundernden Blick hin.
Dara füllte den Wasserkocher, holte die Milch aus dem Kühlschrank und überprüfte bei dieser Gelegenheit wie immer die Vorräte. Hauptsächlich Hundefutter, aber auch drei Eier und ein Stück Brie sowie eine offene Dose Thunfisch. »Den gebe ich mal lieber in eine Tupperdose, okay?«, sagte sie und machte sich gleich ans Werk. »Dann hält er länger.«
»Du und deine Tupperdosen.« Miss Pettigrew schüttelte den Kopf.
Dara schwenkte etwas heißes Wasser in der Teekanne und schöpfte dann drei gehäufte kleine Löffel Tee hinein. So wollte es Miss Pettigrew.
»Trägst du da etwa ein Männerhemd?«, fragte die alte Dame.
»Ähm …« Dara blickte an sich hinunter. Sie trug, wie so oft unter der Woche – und in ihrer Freizeit –, ein praktisches dunkelblaues Baumwollhemd, auf dem man die Hundehaare und Sabberflecken nicht so gut sah. Das waren die Kriterien, nach denen Dara Kleidung kaufte. »Ich glaube nicht. Warum?«
»Die Knöpfe sind auf der falschen Seite.« Miss Pettigrew schüttelte erneut den Kopf. »Mal im Ernst, Dara, warum trägst du nur dunkelblau? Wie wär’s mal mit etwas in einer anderen Farbe? Etwas, in dem man erkennen kann, ob du überhaupt einen Busen hast?«
»Natürlich hab ich einen Busen.«
»In diesem … Kartoffelsack nicht, nein.« Miss Pettigrew steckte eine Scheibe Brot in den Toaster.
»Mehr essen Sie nicht?«, fragte Dara mit einem Blick zum Toaster.
»Ich habe schon gegessen.« Eine verräterische Röte überzog Miss Pettigrews hohe Wangenknochen, auf die sie sehr stolz war.
»Ich mache Ihnen schnell ein pochiertes Ei zum Toast, ja?«
»Nur, wenn ich es ordentlich salzen darf.« Miss Pettigrew presste die Lippen zusammen.
»Meinetwegen.« Dara seufzte. »Mir ist echt schleierhaft, wieso Sie noch am Leben sind, bei Ihrem Salzkonsum.«
»Salz ist das beste Konservierungsmittel«, belehrte die alte Dame sie. Widerspruch hatte keinen Sinn, das wusste Dara, also pochierte sie ein Ei, strich Butter auf den Toast, goss Tee in Miss Pettigrews Lieblingstasse und stellte alles auf ein Tablett. Als
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