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Wenn ich dich gefunden habe

Wenn ich dich gefunden habe

Titel: Wenn ich dich gefunden habe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ciara Geraghty
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Handtasche nach den Zigaretten zu kramen. Neben ihr trat Stanley von einem Bein auf das andere. Sie sah nur seine Füße und kramte weiter, obwohl sie die Zigarettenschachtel längst lokalisiert hatte.
    »Du bist eine großartige Tänzerin«, stellte Stanley fest.
    »Danke.« Sie richtete sich lächelnd auf und zog eine Zigarette aus der Schachtel. »Wir haben vor ein paar Jahren damit angefangen. Mam, Angel und ich. Es war Angels Idee. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt. So war sie damals noch.« Über Angel zu reden war keine gute Idee. Dara spürte, wie das Gefühl des Abends davonhumpelte wie ein Hund, dem ein Stachel in der Pfote steckt. Weder ihre Mutter noch Angel hatten zurückgerufen. Dara wusste, sie sollte noch einmal versuchen, sie zu erreichen. Später, später, hatte sie sich die ganze Zeit vorgenommen. Jetzt war es
später, mitten in der Nacht, und sie stand in einem roten Kleid auf einer dunklen Straße von Paris, in Begleitung eines Mannes, den sie kaum kannte. Und trotzdem musste sie unaufhörlich an ihn denken. Sie hatte – vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben – Lust, etwas zu riskieren. Sie kam sich vor wie Tintin, wenn er in eine Packung Revels griff, das Beste hoffte und das, was ihm nicht schmeckte, einfach ausspuckte. Sie war im Begriff, den großen Zeh in das große Abenteuer zu tauchen, das sich Leben nannte, wie Miss Pettigrew es ihr geraten hatte. Das Wasser war nicht so kalt wie erwartet. Dara wollte hineinwaten. Nass werden. Und bloß nicht daran denken, dass sie weder ein Handtuch noch Kleider zum Wechseln dabeihatte. Dafür war auch morgen noch genügend Zeit. Und übermorgen, und den Rest ihres Lebens.
    »Ich wusste nicht, dass du Salsa tanzen kannst«, sagte sie lächelnd zu Stanley.
    »Ich tanze sonst nie.« Stanley schüttelte den Kopf, als würde er sich über sich selbst wundern.
    »Aber heute hast du es getan. Ich muss es wissen, ich war dabei.« Als Stanley ihr einen eigenartigen Blick zuwarf, wurde ihr bewusst, dass sie mit ihm flirtete. Sie konnte förmlich hören, wie ihr Tintin ein ermutigendes »SCHNAPP IHN DIR, du kesses kleines Luder!« zurief. Dara erstickte die Vision mit einer Feuerdecke und konzentrierte sich auf Stanley. »Und du bist echt gut. Du hast ein gutes … Rhythmusgefühl.«
    Stanley nahm das Kompliment mit derselben Vorsicht an, mit der man einen besonders guten Wein probiert. »Naja, ich hab mal einen Salsatanzkurs gemacht, aber nur, weil Lorcan wollte, dass ich ihn begleite.«
    »Lorcan?«
    »Er dachte, damit kommt er bei den Frauen besser an.«
    »Und?«
    »Was und?«
    »Hat es etwas genützt?
    »Äh, nein, nicht dass ich wüsste.«
    Sie lachten. Wenn Stanley lachte, zuckten seine Schultern. Das war Dara bislang gar nicht aufgefallen. Wohl, weil es bisher nicht viel zu lachen gegeben hatte. Für sie beide. Doch jetzt, hier, in Paris, waren sie plötzlich richtig überdreht.
    »Gehen wir zu Fuß?«, fragte Stanley, und Dara nickte. Er legte ihr ganz selbstverständlich den Arm um die Schultern, und sie hob ebenso selbstverständlich die Hand, verschränkte die Finger mit den seinen und schmiegte den Kopf in seine Halsbeuge, und dann schlenderten sie los.
    »Wo gehen wir hin?«, fragte Dara.
    »Keine Ahnung«, antwortete Stanley, als wäre es völlig einerlei. Und vielleicht war es das auch.
     
    Im Hotel angekommen blieben sie vor Stanleys Zimmertüre stehen. Er kramte seinen Schlüssel hervor, steckte ihn wieder in die Tasche. »Das war ein sehr schöner Abend«, sagte er leise und vorsichtig, als befänden sie sich in einer Seifenblase, die jeden Moment zerplatzen konnte.
    »Finde ich auch«, stimmte Dara zu, und sie lächelten einander an wie alte Freunde es tun, wenn sie sich wiedersehen.
    Dara begann in ihrer Handtasche nach ihrem Schlüssel zu suchen. »Tja, ich schätze, ich sollte dann mal …«
    »Ich würde dich gern noch einmal küssen«, sagte Stanley, fast wie zu sich selbst.
    »Das fände ich schön.«
    Und sie lehnten sich aneinander und küssten sich, in einem vom Mondschein erhellten Korridor eines Pariser Hotels. Sie küssten sich, als wäre es das erste Mal. Als würden sie von etwas probieren, das sie beide noch nie gegessen hatten und beide köstlich fanden. Stanley schmeckte warm und süß wie ein Dessert. Karamellpudding oder so. Jeder Kuss ein himmlischer Genuss.
    »Dara?« Stanley machte sich von ihr los und sah sie an. Dara schlug die Augen auf und lächelte. Seine Stirnfransen standen kerzengerade in die Luft.

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