Wenn ich dich gefunden habe
Allmählich gewöhnte sie sich an den Anblick. »Ich wollte dich fragen, ob … Also, falls du am Samstagabend noch nichts vorhast, würdest du mich begleiten? Zur Verlobungsparty meines Bru…«
»Liebend gern«, sagte Dara mit einer Entschlossenheit, die sie selbst überraschte. Dann fiel ihr etwas ein. »Ach, warte mal, wann geht die Party denn los?«
»Um acht.«
»Stanley, ich …« Plötzlich verspürte sie den Drang, ihm doch von Ian zu erzählen, doch sie schloss den Mund. Sie wollte nicht mit ansehen müssen, wie Stanleys vorsichtige, verschlossene Miene zurückkehrte. »Ich muss vorher noch etwas erledigen«, sagte sie. Angel hatte recht. Es war an der Zeit, dass Dara aufhörte zu warten. Sie war überzeugt, dass Ian es sich nicht allzu sehr zu Herzen nehmen würde. Vermutlich würde er es sogar ziemlich locker wegstecken.
»Kein Problem. Es war nur so eine Idee …«
»Nein, nein, ich begleite dich gern. Können wir uns dort treffen?«
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher.«
»Klasse.« Auf einmal wirkte er groß. Nein, nicht richtig groß, aber definitiv größer.
»Tja, dann … gute Nacht.« Sie machte ein, zwei Schritte auf ihr Zimmer zu. »Wir sehen uns morgen beim Frühstück.«
»Wie wär’s, wenn du …?« Stanley brach ab, Dara hielt inne.
»Ja?«
»Möchtest du … noch auf einen Sprung reinkommen?«
»Auf einen Schlummertrunk?«
»Oder auf eine Tasse Tee – es ist ja schon fast Morgen.«
»Eine Tasse Tee wäre schön.«
Stanley zog den Schlüssel aus der Tasche, betrachtete ihn, betrachtete Dara. »Ehrlich gesagt will ich weder Tee noch einen Schlummertrunk. Das habe ich nur gesagt, um dich hereinzulocken.«
Dara grinste. »Ich weiß.«
»Oh.« Er wirkte verwirrt. »Und du willst trotzdem? Sicher?«
»Hundertprozentig sicher kann man nie sein«, sagte Dara.
Stanley nickte, als würde sie eine seltene Sprache sprechen, die er zufällig auch fließend beherrschte.
»Aber ich bin ziemlich sicher. Was das hier angeht, meine ich. Ich weiß, es sollte nicht so sein, nach allem, was heute passiert ist. Aber … es ist trotzdem so. Ich bin … glücklich.«
Stanley zögerte einen Augenblick, und es sah aus, als würde er mit sich ringen. Dann hob er den Kopf und sah sie an. »Ich auch«, sagte er.
Und das genügte. Für sie beide.
Die Tür schwang auf, schwang wieder zu, und sie blieb
zu, bis es Zeit für den Checkout war – und noch länger. Das Zimmermädchen klopfte und klopfte, und als die junge Frau schließlich die Tür aufsperrte und eintrat, wirkte sie nicht sonderlich schockiert von den Vorgängen in der Dusche, deren Zeuge sie wurde.
Tja, das war eben Paris.
51
Es kam Dara so vor, als wären sie schon immer zusammen gewesen.
»Ich habe einen Riesenhunger. Ich könnte ein …« Stanley konsultierte das Wörterbuch, das er mitgebracht hatte. »Cheval verspeisen.« Er saß am Kopfende des Bettes mit den zerwühlten Laken um die Beine. Das gleißende Sonnenlicht, das durch die offenen Fenster fiel, ließ seine Haut heller als die Bettwäsche erscheinen, und seine Augen wirkten unter den weichen, gebogenen Wimpern und den dichten Augenbrauen eher schwarz als braun. Er lächelte Dara an, und beim Anblick des Grübchens, das das Lächeln auf seine Wange zauberte, ging eine neue Welle der Erregung durch Daras Körper wie ein Stromstoß. Sie schauderte.
»Alles okay?«, fragte Stanley.
»Ja. Ich habe auch Hunger.« Sie beäugte ihn, als wäre er ein großer Teller Spaghetti Carbonara (ihr Leibgericht) und als hätte sie seit Tagen nichts gegessen. Ehe sie aus dem Bett stieg, zog sie flüchtig in Erwägung, sich in ein Laken zu wickeln, doch sie pfiff auf ihre Verklemmtheit und ließ es bleiben. »Habe ich noch Zeit zu duschen?«, fragte sie beiläufig, obwohl sie vor einem Mann, den sie kaum kannte, splitterfasernackt in einem Hotelzimmer in Paris herumlief.
»Wir haben jede Menge Zeit«, sagte Stanley, ohne auf die Uhr zu sehen. Er beobachtete Dara. Sie spürte, wie sein Blick über ihren Körper glitt. »Dreh dich um«, befahl
er und fügte dann rasch hinzu: »Wenn es dir nichts ausmacht.«
Und Dara drehte sich um, einfach so, ganz ohne Bauchrein-Brust-raus, weil sie in einem Anfall außergewöhnlichen Selbstvertrauens das Gefühl hatte, dass es nicht nötig war. Mehr noch, sie kam gar nicht auf die Idee, irgendetwas dergleichen zu tun. Sie stand einfach nur da und betrachtete Stanley, der sie betrachtete. Sie war nicht ganz sicher, aber es kam ihr so vor,
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