Wenn ich dich gefunden habe
wüsste nicht, warum ich ihn begleiten sollte«, antwortete Dara rundheraus.
»Ich meine, wozu soll das gut sein?«
»Natürlich solltest du!«, sagte Tintin mit dieser irritierenden Überzeugtheit, die er oft an den Tag legte.
»Wieso?«
»Weil du Mr. Flood wie aus dem Gesicht geschnitten bist. Vielleicht erkennt dich jemand und erzählt dir etwas, das er einer Wildfremden sonst nicht erzählen würde. Du musst mitfahren, und das weißt du auch.«
Dara schauderte, als hätte ihr jemand von hinten in den Kragen gepustet. Tintin hatte recht – es war durchaus möglich, dass etwas geschah, wenn sie Stanley Flinter nach Bailieborough begleitete. Dass jemand sie erkannte. Eine Geschichte zu erzählen hatte, von einem Vorfall zu berichten wusste. Es war unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen, dass sie Mr. Flood fand. Oder dass dort jemand wusste, wo er zu finden war. Genau das war ihr Ziel gewesen. Genau deshalb hatte sie Stanley Flinter beauftragt … oder? Und trotzdem schauderte sie unwillkürlich bei der Vorstellung, ihrem Ziel einen Schritt näher zu kommen.
»Ich habe nur noch eines zu dem Thema zu sagen«, verkündete Tintin, »und dann möchte ich über Sexsucht reden ( wo liegt das Problem? ) und über Simon Cowell ( würdet ihr mit ihm? ) und darüber, wohin wir nachher essen gehen. In genau dieser Reihenfolge. Okay?« Dara erinnerte ihn nicht daran, dass sie nach ihren endlosen Diskussionen darüber, wo sie am Mittwochabend essen gehen sollten, am Ende stets im Melvin’s landeten, wo es zwar ein bisschen muffig roch, wo es aber die beste Pizza diesseits des Liffey gab. Und man durfte dort Wein aus dem Spirituosenladen von nebenan mitbringen, ohne eine Korkgebühr berappen zu müssen.
»Zu diesen Themen kann ich nichts beitragän.« Anya schnappte sich ihren Mantel und ihre Handtasche. »Ich habä Date mit irischem Mann«, verkündete sie und kämpfte gegen das Lächeln an, das sich, ihrem ernsten Tonfall zum Trotz, wie ein Ausschlag auf ihrem Gesicht auszubreiten drohte.
»Was?«, riefen Tintin und Dara wie aus einem Mund. Anya ging nie mit irischen Männern aus. Sie fand sie entweder zu mager oder zu aufgedunsen, und bislang hatte sich keiner für ihr Hobby, das Durchforsten von Secondhandläden, begeistern können.
»Är heißt Fintan O’Connell und ist irischer Tänzer.«
»Er ist von Beruf Tänzer?«, hakte Tintin interessiert nach.
»Nein, är ist Schuldeneintreibär.«
»Na, da hat er wohl gerade alle Hände voll zu tun«, bemerkte Tintin.
»Ich känne ihn aus Tanzkurs. Wir gehen zu Céilidh. Är zeigt mir, wie man einen Jig tanzt.«
»Pass auf dich auf«, ermahnte Dara sie. »Du weißt nichts über ihn. Sieh zu, dass ihr bei der Gruppe bleibt, das ist sicherer.«
Tintin und Anya betrachteten sie mit milder Belustigung.
»Du bist wirklich die Großmeisterin der Ängstlichkeit«, sagte Tintin und tätschelte Dara den Arm.
»Du kännst mein Lebensmotto, ja?« Anya zog sich ihre enge Mütze über die blassen Ohren, die gern mal aus ihrer dichten, dunklen Mähne hervorblitzten.
Dara nickte, Tintin ebenfalls. Anya hatte ihnen ihr Lebensmotto bereits mehrfach dargelegt und wiederholte es trotzdem bei jeder sich bietenden Gelegenheit, so auch jetzt.
»Genießä dein Leben, während du auf Tod wartest.« Sie schloss die Augen und senkte kaum merklich den Kopf, um ihren Worten die gebotene Feierlichkeit zu verleihen.
»Danke. Jetzt geht’s uns gleich viel besser«, sagte Tintin.
Anya, die mit dem irischen Sarkasmus noch nicht so recht vertraut war, nickte wohlwollend und wandte sich zum Gehen.
»Warte!«, sagte Tintin. »Willst du nicht hören, was ich sagen wollte?«
»Ich weiß äs«, entgegnete Anya und marschierte zur Tür.
»Und was, wenn du dich irrst?«, rief Tintin ihr nach. Zu spät. Er lehnte sich enttäuscht zurück. Dann musterte er Dara hoffnungsvoll. »Ich wollte nämlich gerade sagen …«
»Dass das Leben wie eine Packung Revels ist.«
Tintin hatte vor langer Zeit eine regelrechte Hassliebe zu diesen Schokobons mit Überraschungseffekt entwickelt. Die mit Schoko- und Toffeefüllung liebte er, die mit Kaffee- und Orangengeschmack konnte er nicht leiden. Dann gab es noch welche mit Rosinen und mit Maltesers-Malzkern, die er ganz okay fand. Weil man aber von der Optik nicht immer auf die Füllung schließen konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als jedes einzelne anzubeißen und sie abwechselnd zu schlucken oder auszuspucken.
»Genau.« Tintin schlug sich mit
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