Wenn ich einen Wunsch frei haette
Geschichtsbüchern
gelernt haben: »Das Land war eine kaum besiedelte Wüste, bis jüdische Pioniere sie bewässert haben, erst durch die Juden ist es zu einer Oase geworden.« Das bringt die Palästinenser dann erst richtig in Rage: »Ihr habt laut UN-Angaben 800 000 Palästinenser vertrieben, die sich vorher alle von diesem Land ernährt haben – diese Region war weder eine Wüste noch war sie unbesiedelt.«
B ei den Diskussionen, welches der beiden Völker Anspruch auf das Land hat, werden von beiden Seiten auch religiöse Argumente angeführt. Der Krieg im Nahen Osten wird manchmal als Religionskrieg dargestellt, weil im »Heiligen Land« das Judentum, das Christentum und der Islam ihre Wurzeln haben. Die praktische
Religionsausübung
aber steht dazu in einem gewissen Widerspruch.
Bei über 1000 TeilnehmerInnen aus dem Nahen Osten hat die Religionsausübung während der Freizeiten nur eine untergeordnete Rolle gespielt. In Einzelfällen versuchen wir, alle an uns herangetragenen religiösen Regeln zu respektieren. Das sind bisher ausschließlich Wünsche der jüdischen TeilnehmerInnen gewesen. So versuchen wir, die An- und Abreisetage nicht auf Freitag oder Samstag zu legen. Falls das wegen der Buchung von Flugtickets und Quartieren nicht möglich ist, zahlen wir für Einzelne, die die religiösen Regeln einhalten, den Aufschlag für einen |177| früheren oder späteren Flug. Auch die Ausflüge während der Seminare werden nicht auf Samstage gelegt. Freitag abends gibt es kein Programm, um nach Sonnenuntergang die Zeremonie der Einleitung des Schabat zu ermöglichen. In manchen Gruppen laden die jüdischen TeilnehmerInnen dazu auch die palästinensischen ein, die das Ritual mit Respekt verfolgen.
Die Frauen in der Küche kennen inzwischen die Grundsätze des koscheren Essens und richten sich danach. Für die wenigen Teilnehmer, die die Regeln strenger einhalten, gibt es eine Kochplatte, einen Kühlschrank und spezielle Töpfe, mit denen sie sich das Essen selbst zubereiten.
Unter den 500 moslemischen Teilnehmern war bisher kein einziger, der die Beachtung religiöser Riten angemahnt hätte. Fünf mal am Tag soll ein Moslem beten. Ich habe bei über 500 TeilnehmerInnen aus Palästina, die je 14 Tage in Deutschland waren, keinen einzigen erlebt, der einen Gebetsteppich entrollt und gebetet hätte. Bisher wurde auch in keiner Gruppe zum Freitagsgebet aufgerufen.
In deutschen Zeitungen wurde berichtet, dass es harte Konflikte zwischen christlichen und moslemischen Palästinensern gäbe. Das mag vor Ort so sein. Bei den Freizeiten aber war davon nichts zu spüren und auch auf direkte Nachfrage verneinten die christlichen Palästinenser, dass sie diskriminiert oder angegriffen würden.
I m Lauf der Diskussion wird den meisten Teilnehmern klar, dass aus der Geschichte abgeleitete Besitzansprüche manchmal absurde Blüten treiben, oder der »moralische |178| Wettbewerb«, welches Volk mehr gelitten hätte, nicht weiter führt. Bei den Planspielen zu »Friedensverhandlungen« gehen die jungen Leute dann pragmatisch vor, das heißt, die geschichtlichen, religiösen oder ideologischen Begründungen spielen bei den Verteilungsplänen kaum noch eine Rolle.
Es steht außer Frage, dass es sowohl in Israel als auch in Palästina militante religiöse Fanatiker gibt. Auf der einen Seite orthodoxe Juden, die das biblische Palästina erobern und die Araber über den Jordan treiben wollen, auf der anderen Seite gewalttätige Islamisten, die die Juden verjagen wollen. Diese Fanatiker haben auf beiden Seiten Einfluss auf die Politik. Aber die »ganz normalen« jungen Leute, die wir in den Seminaren kennenlernen, sind mehrheitlich nüchtern und pragmatisch. Sie sind kriegsmüde und wollen ein ruhiges, angstfreies Leben führen – genau wie die Kinder in diesem Buch.
»Friedensverhandlungen« zwischen den Kriegsparteien
G egen Ende der Seminare werden »
Friedensverhandlungen« zwischen den Konfliktparteien simuliert. Diese Methode wurde in der »Friedensschule« im einzigen
arabischjüdischen
Dorf in Israel, »Neve Shalom-Wahat al Salam«, entwickelt. Dort gibt es auch Trainingsprogramme für Friedenspädagogen und Mediatoren. Die meisten Mitarbeiter unserer Partnerorganisationen aus Israel und Palästina haben sich dort in Kursen qualifiziert und arbeiten |179| nach diesen Methoden. Bei den simulierten
Friedensverhandlungen
schlüpfen die TeilnehmerInnen in die Rollen von bestimmten Politikern, um etwa die
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