Wenn ich einen Wunsch frei haette
Israeli.
»Warum erschrecken Euch diese
Selbstmord-Kommandos
erst, wenn möglicherweise Palästinenser dabei sterben?«, fragten die jüdischen Israelis betroffen zurück.
Manche israelischen TeilnehmerInnen halten den Kampf der palästinensischen Bevölkerung für gerechtfertigt – aber nicht die Methoden. Sie fragen dann: »Warum sprengt Ihr nicht die Soldaten an den Checkpoints in die Luft oder die aggressiven Siedler auf Eurem Land? Das entspräche einer Kriegsführung! Aber Ziel der meisten Attentäter sind Menschen wie wir in Bussen und Cafes!«
Die PalästinenserInnen in den Seminaren beantworten diese Frage ohne ideologische, fundamentalistische oder rassistische Begründungen, sie argumentieren rein strategisch:
»Wir sind auch gegen das Töten von Zivilisten. Wir befinden uns im Krieg. Womit sollen wir gegen die Besatzung |171| kämpfen? Wir haben keine Flugzeuge und Panzer. Erst verbietet Ihr uns eine Armee, dann werft Ihr uns vor, dass wir nicht mit Soldaten kämpfen. Es gab Attentate an Checkpoints, die treffen dann aber weniger israelische Soldaten, sondern viele palästinensische Zivilisten, die dort warten. Das trifft dann die eigenen Leute. Es ist für einen
Selbstmord-Attentäter
sehr viel einfacher, in einen Bus oder ein Café zu kommen als in eine israelische Kaserne. Ihr wisst selbst, wie schwierig es ist, in eine »Siedlung« zu gelangen. Wir dürfen die Straßen nicht benutzen, die Orte sind mit Stacheldraht umgeben und die Eingänge gesichert. Das sind die Gründe, nicht, weil die Attentäter gezielt Zivilisten treffen wollen. Aber bei jeder Liquidierung eines Hamas-Führers durch israelische Hubschrauber und Granaten gibt es zivile Opfer, häufig unbeteiligte Passanten oder Kinder. Wir haben weit mehr zivile Opfer zu beklagen als ihr, das interessiert niemanden. Wenn es um zivile Opfer geht, dann nur um israelische. Ist das Leben unserer Kinder weniger wert? Auch die jungen Menschen, die sich in die Luft sprengen, wollen leben. Es ist schrecklich, auch für die Familien der Selbstmörder, aber es ist Krieg.«
A n einer Freizeit nahm auch der Bruder eines
Selbstmord-Attentäters
teil. Vorab wurde mir gesagt, er käme nach Deutschland, um hier erstmals Israelis zu treffen und zur Aussöhnung beizutragen. Darüber war ich natürlich sehr erfreut. In einem Workshop mit professionellen Trainern erzählte er, welch lebenslustiger und beliebter junger Mann sein Bruder gewesen sei, obwohl er im Flüchtlingslager
unter |172| elenden Bedingungen aufgewachsen sei. Nach den Verhandlungen in Oslo habe er fest an den
Aussöhnungsprozess
geglaubt und in Friedensgruppen mitgearbeitet. Er sei überaus sensibel gewesen und habe unter den entwürdigenden Bedingungen, wie der Einschränkung seiner
Bewegungsfreiheit
und den ständigen Kontrollen und Verdächtigungen, besonders gelitten. Als er mit einem Freund auf der Straße gewesen sei, hätten israelische Soldaten auf sie geschossen, – ohne ersichtlichen Grund. Der Freund sei in den Armen des Bruders gestorben. Danach sei dieser verzweifelt gewesen. Die Familie habe aus dem Radio erfahren, dass er sich in Israel in die Luft gesprengt hätte. Von einigen Nachbarn würde er nun als Märtyrer verehrt.
Der Betroffene und einige der PalästinenserInnen, die den jungen Selbstmord-Attentäter gekannt hatten, weinten. Zum Schluss drückten manche Israelis ihr Mitgefühl aus, eine umarmte den Trauernden, einige schwiegen.
Ich fühlte Ablehnung in mir aufsteigen und konfrontierte den jungen Mann damit: Es sei doch wohl eine paradoxe Situation, dass er für die Motive des Selbstmordes seines Bruders ausgerechnet von denen Verständnis erwarte, die selbst dessen Opfer hätten sein können. Kein Wort habe er zu den Toten und Verwundeten des Anschlags gesagt. Aussöhnung beginne, wenn man auch um die Opfer der anderen Seite trauern könne. Das erlebe er nun bei der israelischen Gruppe, während seine Geschichte jedes Mitgefühl für die Opfer des Anschlags vermissen lasse.
Eine junge Frau aus Israel meinte später zu mir: »Heute trauere ich mit ihm, dann kann er morgen vielleicht mit |173| mir trauern. Das braucht Zeit.« Vielleicht hatte sie Recht. Der Mann schien in den nächsten Tagen wie verwandelt. Er hatte seine »Mission« erfüllt und konnte nun als Mensch auf andere Menschen zugehen.
Bei einer Begegnung mit jüngeren TeilnehmerInnen war der Gruppenprozess schwierig, weil ein paar Jugendliche aus Israel ständig störten, Alkohol tranken und
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