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Wenn moeglich bitte wenden - Abenteuer eines Autofahrers

Titel: Wenn moeglich bitte wenden - Abenteuer eines Autofahrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Schumacher
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Prinzip ein netter Kerl. So einer wie du und ich. Vielleicht ein bisschen mehr wie du. Er ist Mitte vierzig, alleinstehend, über ein Meter 92 groß und trägt ein paar Kilo zu viel unter seinen Businessanzügen. Und er hat einen Job als selbständiger Handelsvertreter für hochwertige und allerexklusivste Schokoladenwaren der Firma Orphee International. Dafür muss er ständig kreuz und quer durch die Republik fahren, weil seine Kunden- Feinkostläden, Schlemmertempel, Kaffeehäuser- einfach in jeder großen, mittleren und kleinen deutschen Stadt zu Hause sind. Harald, der sich »Sales Director Market & Treasure Germany« nennen darf, vertreibt professionell hochprozentige Plantagenschokoladen, feinste Schokoladenpralinen und Bitterschokoladenspezialitäten in völlig ausgefallenen Geschmacksrichtungen wie etwa Schwarzbier-Muskat, Cranberry-Meersalz, Veilchen-Vanille-Zitronengras oder seit letzter Woche auch Apfel-Zimt-Edamer, was er eigentlich ziemlich widerlich findet, aber natürlich nicht sagen darf. Persönlich isst Harald lieber Vollmilchschokolade aus dem Discounter, aber auch das verschweigt er seinen Kunden besser, insbesondere den Bio-Handelshäusern, die zu seinen dankbarsten Kunden zählen.
    Wer einen Job wie Harald macht, ist viel allein auf den
Straßen unterwegs, vergleichbar mit den Heerscharen von Lastwagenfahrern, mit denen sich Harald aber nicht vergleichen möchte. Erstens kommen die inzwischen weitgehend aus Polen und Litauen (Harald stammt aus Osnabrück), zweitens schlafen die meisten in ihren Fahrerkabinen (Harald wählt gepflegte Mittelklassehotels der preiswerteren Kategorie), und drittens fahren diese Jungs Waren aus. Harald hingegen hat immer nur Warenmuster dabei. Und natürlich Kataloge, Bestellscheine, Präsentationsfolien, Prospekte, Fair-Trade-Zertifikate sowie einen Haufen anderer nutzloser Dinge, die sich bei längeren Dienstreisen dann mit Kaffeebechern, Burgertüten, Kaugummipapieren, Plastikflaschen und Notizzetteln quer über Beifahrersitz, Rückbank, Ablageflächen, Tür- und Handschuhfächer sowie den Kofferraum ausbreiten und zu einer immer unappetitlicheren und irgendwann auch ein wenig riechenden Melange vereinigen. Nach spätestens drei Tagen auf der Straße pflegt Harald seinen Kombi möglichst einige Blocks vom besuchten Kunden entfernt zu parken, da ihm der Anblick seines zugemüllten Wagens selbst ein bisschen peinlich ist.
    Eine Zeitlang pflegte Harald, sämtlichen Abfall einfach in unbeobachteten Momenten aus dem Fenster zu werfen, bis ihn dabei einmal eine sehr hübsche Brünette sah und ihn anschließend so verachtend anblickte, dass er sich noch mehrere Wochen lang schämte. Recht machen kann man es natürlich nie jemandem. Einmal in München, als der Innenraumzustand wieder einen kritischen Wert erreicht hatte, hielt Harald an einer Bushaltestelle, kramte den ganzen Mist zusammen und stopfte ihn nach und nach in den Mülleimer am Warteunterstand. Es war so viel zusammengekommen,
dass der Behälter völlig überquoll.Als Harald gerade im Begriff war, die letzte, erdbeercremedurchtränkte Kuchentüte in den Mülleimer zu pressen, pochte ihm ein Rentner mit seinem Gehstock auf die Schulter und belehrte ihn, die öffentlichen Mülleimer seien nicht zur Hausmüllentsorgung gedacht. Harald, der gerade an dem Tag eine sehr unangenehme Abfuhr seiner damals Angebeteten erhalten hatte, verlor die Beherrschung und beschimpfte den Pensionär als »Müllblockwart«, woraufhin dieser erst mit der Polizei drohte, sich aber dann schnell entfernte, als Harald ihm Prügel versprach. Schnaubend saß Harald anschließend in seinem Wagen und fragte sich, warum eigentlich immer ihm diese Dinge passierten.
    Das ist ohnehin so ein Gefühl, das er seit Jahren mit sich herumträgt. Dass nämlich höhere Kräfte sich gegen ihn, Harald Grützner, irgendwie verschworen haben und jeden Tag erneut sein Autofahrerleben zur Hölle machen wollen. Manchmal entkommt er ihnen, lachend. Doch meist erwischen »sie« ihn im Laufe eines Tages. Gelegenheit dazu gibt es ja schließlich genug. Seine Vorstellung der Verschwörung ist undeutlich. Manchmal denkt er, dass es vielleicht eine unterirdische Schaltzentrale gibt, in der fiese Aufseher eine Grässlichkeit nach der anderen ersinnen, um ihm sämtliche nur denkbaren Steine in den Weg zu legen. Diese Schwierigkeiten stehen nach Haralds Erfahrung übrigens in einem direkten Verhältnis zur verbleibenden Zeit bis zum nächsten Termin. So ist Harald

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