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Wenn nicht jetzt, wann dann?

Titel: Wenn nicht jetzt, wann dann? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Ruppert
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gleich würden sie sich berühren.
    Liz ließ ihren Kopf mit einem Ruck in ihr Kissen zurückfallen, um noch ein paar Zentimeter Land zu gewinnen und dem Kuss auszuweichen, bevor sie ihm gar nicht mehr ausweichen konnte.
    »Jetzt müssen Sie mir den Puls messen. Ich glaube, ich habe Herzrasen.«
    »Ich auch«, gab er leise zu. »Fast schon Kammerflimmern.«
    Sie sahen sich an und lächelten vorsichtig, wissend, dass sie sich beinahe geküsst hätten und dass dieser Beinahe-Kuss nun zwischen ihnen hin und her schwirren würde. Er war nicht aus der Welt. Er war nur vertagt.
    In diesem Moment öffnete sich die Tür und Rosi Schäfers Rollator bog um die Ecke.
    »Guten Abend, Herr Doktor!«, rief sie fröhlich.
    »Guten Abend, Frau Schäfer, wie kommen Sie zurecht?«
    »Danke, wunderbar«, sagte sie und ließ sich müde von der Anstrengung ihres Ausflugs aufs Bett fallen.
    »Ich muss genau das Gegenteil tun«, flüsterte Simon Liz zu und nahm ihre Hand. »Ich darf Sie nicht hierbehalten, ich werde Sie auf der Stelle entlassen. Und dann werde ich Sie nach Hause bringen. Und dann sind wir endlich einmal alleine. Nur du und ich.«
    Liz schwieg. In diesem Moment wollte sie nichts anderes, als mit ihm alleine sein. Ihr gesamter Körper vibrierte, und es war wunderbar, wie er ihre Hand hielt. Doch der kleine Kontrolleur in ihr raunte ihr die ganze Zeit schon Warnhinweise zu, und jetzt, da das Rauschen in ihrem Kopf etwas nachgelassen hatte, konnte sie die Sätze auch wieder verstehen.
    »Das sagt er jetzt. Aber meint er es auch wirklich?«
    »Das sagt er nicht nur dir. Das sagt er jeder, die es hören will.«
    »Er probiert es eben immer wieder. Bis du einknickst. Und dann ist es zu spät.«
    »Dummchen, wie viele Male willst du dich denn noch enttäuschen lassen?«
    »Warum glaubst du, dass er anders ist als Jo? Du kennst ihn doch gar nicht.«
    Sie kannte alle Einwände. Sie hatte sie sich selbst antrainiert, und sie hatte es gut gemacht. Wenn Liz sich etwas vornahm, dann erledigte sie die Sache gründlich.
    Liz strich nachdenklich über seine Hand und sah ihn ernst an.
    »Das ist nicht so einfach mit mir.«
    Er sagte gar nichts darauf, er sah sie nur an und wartete geduldig, dass sie weitersprechen würde. Sie brauchte noch einen Moment, um sich zu sammeln. Es wäre so leicht, in seine Arme zu sinken und sich fallen zu lassen, alle Bedenken fallen zu lassen, es einfach zu wagen. Aber es war eben ganz und gar nicht leicht.
    »Du kennst dich doch aus mit Knochenbrüchen. Wenn einmal etwas gebrochen war, dann geht man damit besonders vorsichtig um. Dann traut man dieser Stelle nicht mehr, auch wenn sie ganz geheilt ist und man gar nichts mehr sieht, oder? Es bleibt immer eine Schwachstelle. Und man versucht sie zu schützen, sie nicht zu sehr zu belasten, immer schön zu schonen …«
    »Dabei bricht ein Knochen nie zweimal an der gleichen Stelle.«
    »Aber Menschen sind so zerbrechlich. Und Herzen sind besonders zerbrechlich und heilen so schwer. Viel schwerer als Knochen. Es dauert viel länger. Man sieht die Krücken nicht, man sieht den Gips nicht. Aber eigentlich bewegt sich mein Herz nur noch per Rollator.«
    »Das sieht man wirklich nicht«, erwiderte er lächelnd.
    Dann sah er sie ernst an.
    »Kann es denn auch sein, dass dein Herz eigentlich wunderbar alleine laufen könnte, weil es super trainiert ist und die Selbstheilungskräfte in deinem Alter bestens funktionieren, und du dich nur nicht traust?«
    »Wo ist der Unterschied?«
    »Aus Erfahrung lernt man. Man schützt sich vor bestimmten Situationen, und das ist richtig. Aber man muss sich nicht grundsätzlich und immer vor allen Situationen schützen, man muss nicht vor allem Angst bekommen. Man kann neue Erfahrungen machen. Heilsame Erfahrungen. Und Neues dazulernen.«
    »Hast du das selbst erlebt? Dass alles heilen kann? Ich wünschte mir manchmal, ich könnte noch einmal neu sein. Neu anfangen. Unschuldig, unbelastet. Ohne das Wissen, das ich habe. Aber ich glaube, solange ich das weiß, was ich weiß, fällt es mir schwer zu vertrauen.«
    »Was ist passiert?«
    »Spielt das eine Rolle?«
    »Ich will wissen, gegen welche Gespenster ich kämpfen muss.«
    Liz lächelte.
    »Wir wollten heiraten. Er war’s einfach für mich. Er war mein Mann. Wir haben schon eine ganze Weile zusammengewohnt, und falsch ausgequetschte Zahnpastatuben und all das, das war gar kein Thema bei uns. Wir hatten es schön. Dachte ich.«
    »Und dann?«
    »Musste er aus irgendeinem Grund mit

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