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Wenn nicht jetzt, wann dann?

Titel: Wenn nicht jetzt, wann dann? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Ruppert
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hat dich mit seinen Blumen becirct, und er gefällt dir auch. Gib’s schon zu. Macht  12 , 81 .«
    »So ein Quatsch«, antwortete Annemie, während sie bezahlte und die Einkäufe in ihre Tasche einräumte. Doch sie dachte einen Moment darüber nach, was Waltraud gesagt hatte. Und in der Tür, als sie sich schon zum Gehen gewandt hatte, drehte sie sich noch einmal um und sah ihre Freundin an.
    »Du hast recht«, sagte sie verwundert. »Du hast einfach recht.« Denn plötzlich wusste sie, dass es stimmte.
    Als Annemie den Hefeteig für die Zimtschnecken mit Vehemenz knetete, wurde sie plötzlich furchtbar wütend. Sie wurde wütend auf ihre Mutter, die ihr ihre Hochzeit nicht gegönnt hatte, sie wurde wütend auf ihren Vater, der ihre schwangere Mutter sitzengelassen hatte, sie wurde wütend auf Rolf, der ihr nichts zugetraut und nichts zugestanden hatte, sie wurde wütend auf die ältere Frau Hartmann, die nur an sich denken konnte und nicht an ihre Tochter, und am allerwütendsten wurde sie auf sich selbst. Sie schlug den Teig auf die Holzplatte, sie ließ ihre Faust darauf niedersausen, sie nahm ihn hoch und flammte ihn wieder nach unten, sie machte ihn platt und sie stieß ihn wieder zusammen zu einer Kugel. Warum hatte sie sich das alles gefallen lassen? Jahrelang! Warum? Und warum merkte sie jetzt, mit über sechzig, dass sie zu einem ganz anderen Leben fähig gewesen wäre? Und das merkte sie nur, weil ihre Nachbarin einen Unfall gehabt hatte. Nur durch Zufall. Durch einen blöden Zufall musste sie feststellen, dass sie ihr Leben hatte an sich vorbeiziehen lassen, ohne es zu leben. Aus jedem dummen Teig holte sie das Möglichste heraus, aus jeder Buttercreme machte sie das Beste, nur aus ihrem Leben hatte sie nichts gemacht. Nichts! Heiße Tränen tropften auf den Hefeteig, und als die Wut verraucht war, grub sie ihre Hände in den weichen, geschmeidigen Teig und weinte bitterlich. Sie beweinte ihre Kindheit, ihre Mutter, ihre Jugend, ihre Ehe mit einem falschen Mann, die fehlende Liebe und ihr totes Kind. Sie weinte, weil sie nicht Konditorin geworden war, weil sie keine Feinstrumpfhosen trug wie Frau Schwarz aus dem Brautmodengeschäft, und am allerbittersten beweinte sie die Tatsache, dass ein fremder Mensch ihr heute Kaffee im Rosengarten serviert hatte und sie behandelt hatte wie eine Dame. Dass er gesagt hatte, man brauche eben manchmal Marotten, dass er ihr so tief in die Augen gesehen hatte, dass sie sich fast dafür schämte, dass sie so blau waren. Und weil sie die Hummel in seinem Garten gewesen war.

We are just breakable girls and boys.
    Ingrid Michaelson
    9
    L iz beobachtete Simon Friedrich, der konzentriert ihre Krankenakte studierte und sich dann seufzend zu ihr aufs Bett setzte.
    »Ich glaube, ich darf Sie einfach nie entlassen. Ich werde dafür sorgen, dass wir Sie hierbehalten und ich jeden Tag vorbeikommen kann, um Sie zu besuchen.«
    Liz lachte und knuffte ihn in den Arm.
    »Das würde Ihnen so passen. Das ist Freiheitsberaubung! Der bloße Gedanke sollte bestraft werden!«
    »Das wird genug Strafe sein, Sie nicht mehr jeden Tag zu sehen. Wem soll ich dann Kaffee ans Bett bringen?«
    »Da wird sich bestimmt jemand finden. Es wimmelt hier doch von Patientinnen, die gerne mit den Ärzten flirten, oder ist das nur im Fernsehen so? Aber selbst wenn Sie keine Patientin finden, allein in dem Grüppchen, das hier immer zur Visite anrauscht, habe ich mindestens zwei Kandidatinnen entdeckt, die gerne, ja sehr gerne von Ihnen Kaffee ans Bett gebracht bekämen.«
    »Ihre Beobachtungsgabe ist ja schärfer als meine.«
    »Tja, weil ich hier reglos liege. Da kann ich genauer hinschauen.«
    »Vielleicht haben Sie auch bessere Augen. Zeigen Sie mal her.«
    Simon beugte sich mit gespieltem Ernst vor, um Liz tief in die Augen zu sehen. Sie hielt seinem Blick mit weit aufgerissenen Augen stand.
    »Auf jeden Fall haben Sie die schöneren Augen. Das nehmen wir in die Krankenakte auf.«
    »Welches Auge nehmen wir auf?«
    »Hm. Das linke ist wunderbar.«
    »Jetzt ist das rechte aber beleidigt.«
    »Das rechte ist von einer geradezu bemerkenswerten Schönheit. Sollen wir das auch festhalten?«
    Sein Gesicht war nun so nah an ihrem, dass er sie ganz leicht hätte küssen können. Sie spürte, wie sein Atem ihr Gesicht schon streifte und dass er kurz davor war, es zu tun.
    »Nehmen wir doch beide Augen mit auf. Dann fühlt sich keines zurückgesetzt«, flüsterte sie.
    Seine Lippen kamen noch ein wenig näher,

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