Wenn nicht jetzt, wann dann?
ergriff die Flucht und flog ein Stück weg ans Ufer. Ihr Entenmann schrie Zeter und Mordio und schnappte so lange mit dem Schnabel nach dem Konkurrenten, bis er sich davonmachte. Dann schwamm er aufgeregt schnatternd zu seiner Entenfrau, die das alles verfolgt hatte und wieder ins Wasser glitt, um auf ihn zuzuschwimmen. Sie schnatterten sich leise an, als ob sie sich unterhielten, es klang beruhigend, und dann war wieder Ruhe auf dem Teich.
»Entenpaare bleiben ihr Leben lang zusammen, wenn sie sich einmal gefunden haben. Diese beiden da sind bestimmt schon ein altes Ehepaar, und weil der andere Enterich seine Frau geärgert hat, hat der Mann ihn vertrieben.«
»Schwimmen die immer zusammen?«
»Sie schwimmen zusammen, sie bauen zusammen ihr Nest, die Entenmama legt die Eier und brütet sie aus, und in der Zeit sorgt der Entenpapa für sie, damit sie nicht verhungert, weil sie die Eier nicht alleine lassen kann, um auf Futtersuche zu gehen.«
»Woher weißt du das?«, fragte Leonie mit ihrem Schokoladenmund, den er versuchte mit einem Taschentuch abzuwischen. Die Schokolade war hartnäckig, aber er widerstand der Versuchung, ins Taschentuch zu spucken, um ihr Gesicht damit abzuwischen. Er hatte es früher gehasst, wenn seine Mutter oder, noch schlimmer, seine Tanten das bei ihm gemacht hatten, und er wollte nicht, dass Leonie sich jetzt oder später beim Gedanken an seine Spucke grauste.
»Auch das von den Amseln, und so?«
Simon erzählte Leonie vieles über Vögel.
Als Kind und Jugendlicher hatte er einen kleinen Vogeltick gehabt und unbedingt Ornithologe werden wollen. Angefangen hatte es sehr früh. Er hatte sich wie alle Einzelkinder ein Geschwisterchen gewünscht. Und weil er offensichtlich keines bekam, war er auf einen Hund umgeschwenkt.
»Ich wollte unbedingt einen Hund. Zum Geburtstag und Weihnachten zusammen, unbedingt einen Hund. Aber Oma und Opa wollten mir keinen Hund schenken. Sie mochten Tiere nicht so gerne, und sie hatten Angst vor der Verantwortung, man muss ja jeden Tag mit ihm raus, ob man Lust hat oder nicht, ob es regnet oder stürmt, der Hund muss raus. Das haben sie mir nicht zugetraut. Sie dachten, das ist jetzt so eine Laune von mir, und wenn die vorbei ist, dann bleibt die ganze Arbeit mit dem Hund alleine an ihnen hängen. Und sie fanden auch die Wohnung zu klein für einen weiteren Mitbewohner.«
»Und fandest du das doof?«
Leonie hörte gespannt zu.
»Ja, das fand ich sehr doof. Aber dann habe ich gedacht, na ja, eine Katze ist ja auch ein Tier, mit dem man spielen kann, das einen kennt und sich streicheln lässt und dabei schnurrt. Und mit einer Katze muss man nie Gassi gehen. Also habe ich mir eine Katze gewünscht.«
»Und hast du die dann bekommen?«
»Nein, eine Katze war Oma und Opa gar nicht recht, wegen des Katzenklos, und wer würde das dann immer saubermachen? Und die Haare überall … Also, eine Katze ging auch nicht. Dann kam ich auf eine neue Idee: ein Meerschweinchen! Ein Freund von mir hatte auch eins, das hielt er in seinem Zimmer. Das wollte Oma aber auch nicht, sie fand, dass Meerschweinchen riechen und die ganze Wohnung dann nach Tier riecht. Hamster und Mäuse fand der Opa eklig, und zum Schmusen waren die ja auch nicht so wirklich geeignet. Ich habe dann aber immer noch nicht aufgegeben und habe versucht, sie von einem Wellensittich zu überzeugen. Denn dem hätte ich Sprechen beibringen können. Das gefiel mir gut. Und als ich dann zum Geburtstag etwas ziemlich Großes geschenkt bekam, das unter einem Tuch verborgen im Wohnzimmer stand, da dachte ich, das ist jetzt bestimmt der Käfig für den Wellensittich.«
»Und war er das?« Leonie hörte mit großen Augen zu und vergaß dabei fast, ihr Eis zu essen. Anscheinend war ihr diese Art von Wünschen sehr bekannt.
»Es war ein Vogelhäuschen. Für die Terrasse. Da durfte ich die Vögel im Winter füttern und sie dabei beobachten. Dazu bekam ich noch ein Buch über die heimischen Vogelarten, damit ich alles nachlesen konnte. Über Amseln und Meisen und Enten. Obwohl die natürlich nie zum Vogelhäuschen kamen.«
»Aber schmusen und spielen konntest du mit denen nicht.«
Wie recht sie doch hatte, seine kleine Tochter.
Er hatte das Vogelhäuschen erst gehasst. Schließlich hatte er sich nicht einen Wellensittich gewünscht, weil er sich für Vögel im Allgemeinen interessierte, sondern weil er sich ein kleines Wesen gewünscht hatte, das irgendwie zu ihm gehörte, auch wenn er ihm höchstens
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