Wenn nicht jetzt, wann dann?
Machen Sie sich bitte keine Sorgen!«
»Und Sie?«
»Wenn es so weit ist, backe ich hoffentlich wieder ganz in Ruhe die Torten!«
Nach diesem bewegten Tag hatte Annemie große Sehnsucht danach, in dem Rosengarten auf der Bank zu sitzen. Sie wollte nicht nach Hause in ihre Wohnung, sie wollte auch nicht zu Liz, sie wollte zu Hannes Winter und neben ihm auf der Gartenbank sitzen. Ob es sehr unverschämt war, abends bei ihm aufzutauchen? Eine Gärtnerei schloss, wie sie annahm, um sechs, nun war es schon kurz vor sechs. Bis sie dort war, wäre es sicher halb sieben. Aber es war ihr in diesem Moment egal. Sie würde es einfach versuchen.
Als sie vor dem rostigen Gartentor stand, war sie sich plötzlich nicht mehr sicher, ob das wirklich eine gute Idee war. Eigentlich wollte sie schon umkehren, als sie den ergreifenden Gesang einer Amsel hörte. Und sie dachte, es wäre zu schön, jetzt auf der Bank zu sitzen und den Abendliedern der Vögel im Garten zuzuhören. Sie öffnete das Tor und trat ein. Seit sie zum ersten Mal hier gewesen war, hatte Hannes Winter die Büsche ein ganzes Stück zurückgestutzt, als ob er ihr den Weg zu ihm etwas erleichtern wollte. Sie fühlte sich dadurch gleich ein wenig willkommener. Als sie ihn mit einer Pfeife vor seiner Laube stehen sah, lächelte sie. Er hatte die Hände in den Taschen seiner abgewetzten Cordhose, um seinen Hals hatte er einen Schal gewickelt und seine ausgebeulte Strickjacke hing lose an ihm herunter. Als er sie bemerkte, hielt sie inne und winkte schüchtern, und zu ihrer Erleichterung hob auch er die Hand und kam ein paar Schritte auf sie zu.
»Sie sind doch wohl nicht um diese Zeit noch in Sachen Hochzeitsblumen unterwegs?«
»Nein«, sie schüttelte verlegen den Kopf.
Er sah sie aufmerksam an.
»Das ist gut. In Ihrem Alter – ich darf das sagen, denn ich bin noch älter – sollte man sich auch mal ein Päuschen gönnen.« Er deutete auf seine Pfeife. »Mach ich auch.«
»Deshalb bin ich ja hier«, gestand Annemie. »Ich weiß, es ist schon ein bisschen spät für einen unangemeldeten Besuch, aber ich wollte fragen, ob ich mich ein wenig auf Ihre Bank setzen darf. Im Rosengarten. Und dabei der Amsel zuhören. Ich will Sie auch gar nicht stören.«
»Der Rosengarten ist vormittags der beste Platz. Abends nicht.«
»Soll ich lieber wieder gehen? Ich will Sie wirklich nicht belästigen.«
»Abends gibt es einen besseren Platz. Kommen Sie, ich zeige es Ihnen. Aber warten Sie einen Moment.«
Er ging in die Laube und kam mit einer Flasche Wein und einer Decke in der Hand wieder heraus. Würde er ihr jetzt Wein aus der Flasche anbieten? Am Ende noch auf einem Lager auf dem Boden? Fast bereute sie es, dass sie hergekommen war. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Er war schon losgestapft, und sie folgte ihm atemlos in einen anderen Teil des Gartens, den sie noch nicht kannte. Als sie ankamen, sah sie, warum er sie hierhergeführt hatte. Auf einer kleinen Anhöhe stand unter einer rotblühenden Kastanie eine Bank, die genau gen Westen schaute, wo die Sonne als roter Ball gerade tiefer sank. Hannes Winter legte fürsorglich die Decke auf die Bank.
»Abends wird es kühl«, stellte er sachlich fest, zog aus einer seiner ausgebeulten Jackentaschen zwei kleine Wassergläser, was Annemie erleichtert registrierte, und aus der anderen einen Beutel mit Nüssen und eine trockene Scheibe Brot. Er legte alles in die Mitte der Bank und bot ihr den linken Platz an, setzte sich selbst rechts davon hin und goss in beide Gläser ein wenig Wein.
»Kein edles Kristall, aber die haben hier draußen den besseren Stand«, sagte er, als er Annemie ihr Glas reichte und mit ihr anstieß.
»Auf den Mai!«
»Auf den Mai«, antwortete Annemie und lehnte sich zurück. Er öffnete die Tüte mit den Nüssen und bot sie ihr an. Es war herrlich. Die Abendluft war noch lau, der Pfeifentabak verströmte einen Vanilleduft, von dem Schlückchen Rotwein wurde Annemie inwendig gleich recht warm, und als die ersten neugierigen Vögel kamen und sie mit schräg gelegtem Kopf beobachteten, wusste sie auch, für wen das trockene Brot gedacht war.
Schweigend fütterten sie die Vögel, und als sie ihr Glas ausgetrunken hatten, schenkte Hannes Winter noch einmal nach.
»Wie war Ihr Tag heute?«, fragte er Annemie und sah sie von der Seite an.
»Ich hätte gerne eine Tochter gehabt, um herauszufinden, ob man als Mutter wirklich vergisst, dass man selbst einmal Tochter war.«
»Waren Sie eine
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