Wenn nicht jetzt, wann dann?
allmählich an die Grenzen ihrer Garderobe. Sie hatte einfach wesentlich mehr Kleider für zu Hause als für draußen. Und da sie kaum mehr zu Hause war, waren ihre Draußen-Kleider allesamt in der Wäsche.
Als sie Waltraud um Rat fragte, schaute die auf die Uhr, murmelte, dass sie heute in einer halben Stunde schon Schluss habe und eigentlich in die Stadtbibliothek gehen wollte. Aber das könnte sie auch vertagen, um stattdessen mit Annemie einkaufen zu gehen. Sie schaute sie prüfend an.
»Und wenn ich ehrlich bin, ein Friseurtermin wäre keine Fehlinvestition. Ich muss auch hin, schauen wir mal, ob wir einen Notfalltermin bekommen, und dann gehen wir beide endlich mal zusammen in die Stadt. Das wollte ich schon immer!«
»Ich hasse einkaufen«, seufzte Annemie.
Sich im Spiegel zu sehen, in diesem schrecklichen Licht der Umkleidekabinen, Kleider anzuprobieren, die auf der Stange hübsch aussahen und an ihr wie eine Wurstpelle, darauf hätte sie liebend gern verzichtet. Aber Waltraud hatte recht, sie brauchte wirklich etwas Neues, und mit der Hilfe ihrer Freundin war es vielleicht auch nicht ganz so schlimm.
»So«, strahlte Waltraud, als ihre Ablösung gekommen war und die Tür des Edekaladens hinter ihnen beiden zufiel. »Jetzt bin ich deine Einkaufsberaterin, und ich lasse nicht locker, bis wir etwas Hübsches für dich gefunden haben!«
Zuerst kümmerte sich Waltraud um den Friseurtermin. Sie gingen zu Marcel, der ihnen beiden schon seit Jahren die Haare machte. Es gab tatsächlich eine Lücke am späteren Nachmittag, in der nun ihre Namen standen.
»Waschen und Schneiden wie immer?«, fragte Marcel, der Annemies Gewohnheiten kannte.
»Heute lässt du dir mal Highlights machen, oder? So ein bisschen Glanz, das wär doch jetzt was für dich!«
»Ach, bisher ging es auch immer ohne«, protestierte Annemie.
»Bisher! Bisher war auch einiges anders! Da bist du weder jeden Tag mit enormen Blumensträußen nach Hause gekommen, noch hattest du Verabredungen zum Abendessen in feinen Restaurants!«
Annemie nickte zaghaft, und Waltraud lächelte lobend.
»Also, Highlights!«, sagte sie triumphierend zu Marcel, der Waltraud dankbar zuzwinkerte.
»Endlich! Das schlage ich ihr schon seit Jahren vor!«
Lächelnd hakte Waltraud sich bei Annemie unter und zog sie nach draußen, denn sie hatte bereits einen Plan. Waltraud steuerte mit Annemie ganz zielsicher in ein Bekleidungshaus, das Annemie bisher nur von außen kannte. Das war ihr immer zu vornehm gewesen.
»Die haben auch Schnäppchen, keine Angst«, beruhigte Waltraud ihre Freundin. »Vor allem haben sie nicht so entwürdigende Umkleidekabinen. Und das ist viel wert für Damen in unserem Alter.«
Gemeinsam betraten sie das Geschäft. Eine Verkäuferin kam lächelnd auf sie zu und fragte, ob sie helfen könne. Auch sie trug diese schönen Feinstrumpfhosen, die so elegante Beine machten. Annemie beschloss, nachher ihren Mut zusammenzunehmen und danach zu fragen. Waltraud schilderte, was sie suchten, und Annemie musste nur noch in die Kabine gehen und anprobieren, was die beiden ihr brachten.
Waltraud hatte recht, die Kabine war tatsächlich größer und auch viel angenehmer ausgeleuchtet, als sie es kannte, und sie genoss den Service, alles gebracht zu bekommen. Sie fühlte sich ein wenig wie Nina Winter bei der Brautkleidprobe. Auf jeden Fall fühlte sie sich wesentlich besser als sonst. Womit Waltraud ebenfalls recht behielt, war, dass es Schnäppchen gab und die Verkäuferin selbst sie ihr völlig selbstverständlich anpries. Sie musste gar nicht so tun, als hätte sie es nicht nötig, aufs Geld zu achten. Wie angenehm das war!
Annemie fühlte sich wie ein junges Mädchen, als sie kichernd aus der Kabine trat, mit einem Rock, der viel zu weit war, oder einem Kleid, dessen Reißverschluss sich gar nicht schließen ließ. Die beiden Gesichter, die vor der Kabine auf sie warteten, schauten stets kritisch, mäkelten hier, lobten da, kicherten mit und strahlten, als Annemie am Ende mit einem hellblauen Sommerkleid, einer weißen und einer kornblumenblauen Bluse und einem hellen, schmalen, ganz leicht schwingenden Rock zur Kasse ging.
»Und jetzt verraten Sie mir doch bitte mal, wo Sie diese Strumpfhosen kaufen.« Annemie sah die nette Verkäuferin erwartungsvoll an. »Ich glaube zwar nicht, dass ich damit auch so schöne Beine hätte wie Sie, aber das sieht so elegant aus, wo bekomme ich die denn, und wie heißt die Marke?«
Die Verkäuferin beschrieb es
Weitere Kostenlose Bücher