Wenn nicht jetzt, wann dann?
Türme der nächsten Kathedrale: Astorga ist in Sicht. Jedoch muss ich zuerst durch die Vororte laufen, und der Weg zieht sich wie ein endloses Gummiband bis in die Stadt hinein. Zum Schluss muss ich noch eine große Anhöhe erklimmen, ich habe keine Lust mehr und meine Füße tun weh. Schließlich komme ich in der Herberge an und stelle dort fest, dass es auch 2-Bett-Zimmer mit Etagenbetten gibt und nagelneue, gepflegte Sanitäranlagen. Ich bleibe für 6,00 € pro Nacht und kann nun endlich meinen mitgebrachten Schlafsack ausprobieren. Mein Zimmer hat kein Bettzeug, dafür aber ein Waschbecken, was ich bereits als Komfort betrachte.
Mit einem kleinen Stadtplan versehen, gehe ich etwas trinken und erkunde dann den Ort Astorga. Am meisten genieße ich, dass ich meine Wanderstiefel und Strümpfe gegen die Sandalen ausgetauscht habe und meine schmerzenden Füße sich zusehends erholen.
Auch hier in Astorga gibt es eine wundervolle Kathedrale, ein Meisterwerk mittelalterlicher Baukunst. Ich gehe die alten Stadtmauern entlang auf der Suche nach Resten der römischen Ausgrabungen, die aber schwer zu finden und nicht zu besichtigen sind. Schade!
Den Abend verbringe ich zum Teil in der Herberge, wo ich mich mit mehreren Pilgern unterhalte. Auch nutze ich den kostenfreien Internetzugang, um einige Mails an die Familie und Freunde zu schreiben. Später sitze ich dann noch in den Mauernischen der alten Stadtmauer draußen und bewundere den absolut wundervollen Sonnenuntergang, die Wolkenformationen und lasse mich von den letzten Sonnenstrahlen wärmen.
Die Nacht schlafe ich allein in einem 2-Bett-Zimmer, die Herberge ist offensichtlich bei weitem nicht ausgebucht, genieße die neuen und sehr gepflegten Sanitäranlagen und fühle mich wohl. Mein Schlafsack erweist sich als warm genug und praktisch, und als ich gegen 23.00 Uhr im Bett liege, bin ich rundherum zufrieden, denn es ist ruhig, und ich schlafe tief und fest und ohne Störung, obwohl ich in einer Pilgerherberge bin.
12. Tag:
Astorga, 16. Juni
Mein Handywecker klingelt um 6.30 Uhr, doch ich bin so müde, dass ich weiterschlafe. Als der Herbergsvater gegen 8.00 Uhr an meine Tür klopft, weil er weiß, dass ich weiterwollte, stehe ich kurz auf, sage Bescheid, dass ich bleibe und schlafe weiter bis um 11.00 Uhr. Die vielen neuen Eindrücke und die körperlichen Anstrengungen fordern ihren Tribut, und ich brauche eine Auszeit. Zudem ist die Herberge so gut und billig und Astorga so hübsch und interessant, dass ich mich entscheide, noch eine Nacht zu bleiben. Diesen weiteren Tag kann ich nutzen, um für zwei Euro die Waschmaschine und Trockenmöglichkeit der Herberge auszuprobieren. Auch kann ich mein Baguette mit Käse, einer Banane und Kaffee (!) im Sonnenschein auf der Dachterrasse mit dem Blick über die Dächer von Astorga zu mir nehmen. Richtiger Kaffee, wie ich ihn aus Deutschland kenne, ist hier die absolute Seltenheit. Was hätte ich versäumt, wenn ich heute weitergegangen wäre! Eine der Angestellten der Herberge hat mir freundlicherweise unentgeltlich eine Kanne Kaffee zubereitet, und ich fühle mich schon wieder verwöhnt und genieße dieses inzwischen so seltene Frühstück. Ich bin bescheiden geworden im Laufe der letzten Tage, denn vieles, was früher selbstverständlich war, ist es hier nicht.
Später schlendere ich durch die Stadt, schreibe Postkarten, kaufe für den morgigen Sonntag und die nächste Etappe ein, bewundere erneut die alten Bauwerke und die Kathedrale. Mir wird bewusst, wie geschichtsträchtig diese Gegend ist, wenn diese Bauten gut eintausend Jahre stehen und noch immer so gut erhalten sind. Wie sehr haben wir in Deutschland doch durch die Kriege gelitten, denn so viele alte Bauwerke wie hier gibt es seit dem zweiten Weltkrieg kaum in einer deutschen Stadt.
Auf der Suche nach den römischen Sklavenunterkünften erreiche ich ein Bauwerk, welches mir richtig erscheint. Da das schmiedeeiserne Tor verschlossen ist, klingele ich. Eine spanisch sprechende Stimme meldet sich per Wechselsprechanlage, und ich versuche mein Anliegen deutlich zu machen, ich als peregrino, also Pilger, ersuche um Eintritt. Wie von Geisterhand öffnet sich das Eisentor per Hydraulik, ich trete ein, und das schwere Tor schließt sich wieder.
In diesem Moment — umgeben von circa drei Meter hohen Mauern, auf dem Vorplatz eines alten Gebäudes stehend — fange ich an, mich unwohl zu fühlen. Ich betrete die geöffnete Tür des Gebäudes und folge der spanisch
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