Wenn nichts mehr ist, wie es war
absurd, dieser Mann hatte die letzten paar Stunden konzentriert einer aufgelö s ten, beinahe hysterischen Kuh gegenüber gesessen und sie wu n derte sich, dass er nicht gelächelt hatte? Manc h mal verhielt sie sich wirklich wie ein Teen a ger.
Beth war sosehr mit ihrem Ablenkungsmanöver beschä f tigt, dass sie beinahe an dem Haus, in dem Dina wohnte, vorbei gelaufen wäre. In der Wohnung und damit auch wieder in der Realität a n gekommen, b e gann sie, getrieben von der Unruhe, rastlos durch alle Zimmer zu wandern . Dabei brachen die gewaltsam unte r drückten Tränen wi e der hervor und liefen unaufhaltsam über ihr Gesicht . Irgendwann, sie wusste nicht , wie lange sie so umherg e laufen war, kam sie vor Dinas Bett zu stehen. Der A n blick, der sich Beth bot, versetzte ihr erneut einen Stich. So , als hätte sich ihre Tante nicht schnell genug in ihre Freizeitkleidung stürzen kö n nen, war die weisse Arbeitsbluse achtlos auf das Bett geworfen worden. Dort lag sie jetzt zerknittert in ihrer unschuldigen Farbe und würde nie wieder Dinas Körper einhüllen. M e chanisch griff Beth nach dem Stück Stoff und liess zärtlich ihre Hand darüber gleiten. Auf einmal war Beth vollkommen erschöpft, sie spürte , wie ihre Beine sie nicht mehr tragen wollten und ihre A r me so schwer wurden, dass ihr beinahe die Bluse entglitten wäre . Lan g sam liess sie sich auf das Bett sin ken und nahm das Kleidung s stück wie einen Teddybären in den Arm. Der Geruch von Dinas Parfüm haftete noch daran, der die Illus i on, dass Dina im nächsten Moment zurückkommen musste, nur noch verstärkte. Beth erlag diesem Tru g schluss nur zu gerne. Wie eine Kat ze rollte sie sich zusammen und schloss die Augen. Wehm ü tig ergab sie sich der Erinnerung an all die schönen Dinge, die sie mit Dina hatte er l e ben dürfen.
Kapitel 9
Alles war vorbereitet und gepackt. Die Fluggesellschaft hatte zwar für eine Abreise gleichentags keine Ti ckets mehr, aber die Dame am Telefon hatte versichert, dass sie Tickets für den nächsten Tag bereitstellen würde. In Anbetracht des dadurch entstehenden Zei t verlustes en t schied sich Susanna aber dagegen. In Gedanken ging sie noch einmal die nötigen Papiere durch um sicherzugehen, dass sie nichts vergessen hatte. Gerade kam ihr in den Sinn, dass sie die Nachbarin noch fragen mus s te, ob sie die Katze füttern konnte, als sie durch ein lautes Poltern aus dem ersten Stock abgelenkt wu r de.
„Jake? Alles in Ordnung?“
Da sie keine Antwort erhielt, ging sie auf die Treppe, die in die oberen Etagen füh r te, zu. Noch einmal rief sie nach ihrem Mann. Es dauerte noch einen Moment, dann konnte sie einen gepressten Fluch verne h men.
„Sag mal, was machst du da oben?“
„Nichts!“
„Genau danach hat es sich auch angehört. “ Der Sarkasmus war deutlich zu hören. „ Kann ich dir he l fen?“
„Nein verdammt!“
Das war Susannas Stichwort. Sie ging die Treppe hoch, marschie r te durch den Gang und fand ihre n Mann schliesslich im Badezi m mer , neben seinem Rollstuhl liegend. Die in der Wand eingelass e ne Stange fest umklammert , versuchte er sich hochzuziehen. Sein Kopf war bereits ganz rot angelaufen und er schwit z te.
„Sag mal, was hast du vor?“
„Nichts. Ich habe doch gesagt, ich brauche keine Hi l fe.“
„Natürlich, von nichts und niemandem. Sind wir wieder dort a n gekommen? Ich dachte, diese Egomasche hättest du nach so vielen Ja h ren überwunden.“
Geduldig ging sie auf ihn zu, ging in die Knie, schob ihren Obe r körper unter se i ne Schulter, legte seinen Arm um ihren Hals und half ihm, sich zurück in den Rollstuhl zu setzen. Seine Versuche, sich gegen ihr Einmischen zu wehren, ignorierte sie vehement und erfol g reich .
„ Ich will nicht mehr an diesen be sch… Rollstuhl gefesselt sein. Der Arzt sagte d a mals , mit viel Übung könnte ich es schaffen. Ich übe seit 26 Jahren und es klappt immer noch nicht. Es muss aber kla p pen!“
„Warum muss es denn ausgerechnet he u te sein?“
„Weil ich meiner Tochter in ihrer wohl schlimmsten Zeit wie ein ga n zer Vater und nicht wie ein Krüppel beistehen will. Immer habe ich das Gefühl, euch nicht so unterstützen zu kö n nen, wie ich es will, weil mich meine Beine nicht tragen und dieser blöde Stuhl im Weg ist.“
Einmal mehr schöpfte Susanna aus ihrem schier unendlich vo r handenen Vo r rat an Geduld.
„Mein Schatz, du kennst meine Antwort auf deine Zweifel. Du hast deine ganze Familie
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