Wenn nichts mehr ist, wie es war
legte sie ihre Hand auf die seine und zuckte unwillkürlich wi e der zurück, als sie sich der Intimität dieser Geste bewusst wurde. Hastig stand sie auf, nahm ihre Tasche und vera b schiedete sich. Ohne sich noch einmal umzudr e hen, verliess sie das Lokal. Louis, der hinter seiner Theke ein Glas mit einem Tuch bearbeitete , als wäre es das Familiensilber , schaute ihr nach. Nac h dem sich die Türe hinter ihr geschlossen hatte, wandte er sich an Jérémie . „E i nen hübschen Hi n tern hat die Kleine.“
Jérémie , dem dies ebenfalls aufgefallen war, weil er ihr genauso nachgeschaut hatte wie Louis , schüttelte seufzend den Kopf. „Weißt du , Louis, unter anderen Umständen hätte ich sie wah r scheinlich schamlos angemacht.“ Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln. „Aber sie hat im A u genblick einen ziemlich hohen Berg Scheisse abzutragen. Selbst ich habe genug Taktgefühl, mich in dieser Situation nicht an sie ran zu m a chen.“
„Und wenn der Berg beseitigt ist?“ Ne u gierig stellte Louis das längst trockene Glas weg und lehnte sich an die Th e ke.
„Noch bevor das geschehen ist, hat sie ihre sieben Sachen g e packt und ist wieder zurück in London. Frei nach dem Motto: A us den A u gen, aus dem Sinn.“
„Junge, ich glaube dir kein Wort.“ Die Weisheit eines langjährigen Café besitzers blit z te in Louis’ Augen auf.
„Dann lässt du es eben.“ Jérémie stand auf, packte dabei seine Notizen unter den Arm und verliess das Lokal ebe n falls.
Kapitel 8
Obwohl das Thermometer bereits wieder über 20 °C geklettert war, frö s telte es Beth auf ihrem Weg durch die schmalen Gassen. Sie zog ihre Strickjacke fester um die Schultern und ging mit g e senktem Kopf weiter. Unfähig dem Strudel unaufhörlich wirbel n der Gedanken Einhalt zu gebieten, stellte sie sich i mmerzu diese l ben Fragen. Warum war Dina ausgerechnet auf dem Friedhof? Weshalb war sie gesto r ben? Was hatte sie getötet? Sie war doch kerngesund! Hatte sie jemand überfa l len? Aber warum war en dann ihre Geldbörse und ihr Schmuck noch da gewesen? Bei der Identifizierung ha t te sie genau gesehen, dass alles noch da war. Ein gold e ner Ring am Mittelfinger der linken Hand, die filigrane Uhr, die sie ebenfalls links trug, die Ohrringe mit den weissen Perlen und das goldene Kreuz mit den roten Rubinen. Bei einem Rau b überfall hätte der Räuber doch ganz bestimmt nicht dieses Kreuz dagelassen, auch wenn er bei seiner Tat über rascht worden wäre. Es war ein L eichtes, nach der Kette zu gre i fen und während man sich auf die Flucht begab daran zu reissen. Während sie über diese Szene nachdachte beschlich sie ein seltsames Gefühl. I r gende t was stimmte nicht, aber was? Da sie wusste, dass sie in diesem Gemütszustand keine Lösung auf diese Frage finden kon n te und auch nicht auf alle anderen Fragen, wollte sie nun doch versuchen, die immerzu wiederkehrenden Gedanken wegzuschi e ben. Am einfachsten erschien es ihr, an etwas anderes zu denken. Also begann Beth , das Haus, in dem die Polizeistation unterg e bracht war, in ihrem Kopf zu r e konstruieren. Tatsächlich war diese geistige Arbeit eine willkomm e ne Ablenkung und wirkte zugleich beruhigend . Mit dieser Ruhe war es aber bereits wieder vorbei, als Beths Gehirn sie in das Innere des R e viers führte. Die Tisch e , Stühle und Menschen tauchten vor ihrem inneren Auge auf, was ihre Gedanken unumgänglich zu Inspecteur Jérémie Russeau füh r te. Nicht der üble Nachgeschmack der Umstände ihres Kennenle r nens , sondern schlicht die Tatsache, dass sie über den ganzen G e schehnissen nicht bemerkt hatte, wie gut er aussah, konnte sie kaum fassen. Jetzt hatte sie aber genügend Zeit, ihn sich ganz b e wusst als Mann vorzustellen. Be i nahe schämte sie sich ein wenig, als ihre Gedanken wie von selbst die Konturen seines markanten, sonnengebräunten Gesichts formten. Wie auf dem Zeichenbrett ma l te ihre Vorstellung eine volle Unterlippe und eine etwas schmalere Oberlippe. Die Nase war eher unauffällig geformt. D a zu k a men o berhalb der Wangenknochen grü n-braune Augen mit breiten dunkelbraunen Brauen . Die feinen Fältchen in den A u genwinkeln zeugten davon, dass er schon einiges gesehen hatte. Sie stellte sich vor, wie sie tiefer werden mussten, wenn er läche l te. Dabei f iel ihr auf, dass er während der letzten Stunden nicht einmal gelächelt hatte. In Gedanken rügte sie sich sofort und mahnte sich zur Ve r nunft. Liebe Güte, das war ja
Weitere Kostenlose Bücher