Wenn süss das Mondlicht auf den Hügeln schläft
konnte einen rasend machen. Er sah Emma voll Abscheu an.
Sie gingen den Strand hoch. «Untergegangen bist du auch», sagte Emma.
Gaylord gab keine Antwort. Er hatte einen finsteren Entschluß gefaßt. Wenn er von dem Tag am Meer noch etwas für sich retten wollte, mußte er sich Emmas entledigen, und zwar schnellstens.
«Essen kommen», rief Mummi forsch.
«Och, Mummi, müssen wir?» fragte Gaylord.
«Ja. Komm schon, Liebling. Einer unserer gefiederten Freunde hat schon Platz genommen.»
Gaylord guckte. Eine Möwe stand am Rand des Picknickplatzes, wachsam, arrogant; kalte Augen musterten die Menschen, das Essen und die anderen Möwen. Mit gutem Grund, denn diese Möwe hatte ein schweres Handikap. Während die anderen kreisten und herabstießen und miteinander kämpften, stand sie ganz allein im Sand. Manchmal machte sie ein paar ungeschickte Schritte vorwärts, dann hüpfte sie wieder zurück. Fliegen konnte sie nicht. Eine Schwinge hing kraftlos herab.
Tiefes Mitleid erfüllte Gaylord. «Die arme Möwe», sagte er. «Sie ist verletzt. » Er nahm ein Hühnerbein und ging langsam auf sie zu.
«Nicht doch, Gaylord», sagte Mummi, nahm ihm das Hühnerbein ab und gab ihm einen Keks. «Aber sie mögen Hühnchen», sagte Gaylord.
«Wir auch», erwiderte Mummi ungerührt.
«Ich wette, wenn du eine lahme Möwe wärst, würdest du auch etwas Besseres als Kekse haben wollen», sagte er hitzig.
«Ach, ich weiß nicht recht», sagte Mummi. «Wenn du dir nämlich vorstellst, daß ich schon als ganz gesunde, kampflustige Möwe mir wegen ein bißchen Abfall die Lunge aus dem Hals schreien müßte. Die sind nicht so verwöhnt, glaub mir.»
Gaylord kam da nicht ganz mit. Dagegen kam er nicht auf, aber es hatte auch gar keinen Sinn zu streiten. «Hier, kleine Möwe», sagte er freundlich und warf ihr den Keks hin. Die Möwe hüpfte darauf zu, doch ehe sie ihr Futter erreicht hatte, war eine andere Möwe herabgeschossen und schnappte es ihr fort. Gaylord war wütend. Er nahm noch einen Keks, aber diesmal ließ er ihn auf der ausgestreckten Hand liegen.
Die Möwe sah Gaylord an, mit einem kühl abschätzenden Blick. Schließlich hing ihr Leben von der richtigen Einschätzung einer Lage ab. Sie kam ein wenig näher, blieb stehen, starrte ihn wieder an. Dann machte sie einen Hüpfer vorwärts. Für den Bruchteil einer Sekunde berührte der gierige Schnabel mit dem orangefarbenen Fleck fast Gaylords Hand. Dann war die Hand leer, und der Vogel würgte in sicherer Entfernung den Keks herunter. Jocelyn sagte: «Sie machen immer den Eindruck, als ob sie an chronischen Verdauungsbeschwerden litten. Kein Wunder, wenn man sieht, wie sie ihr Essen herunterschlingen.»
Doch Gaylord war hingerissen. «Hast du das gesehen, Mummi? Sie hat mir’s direkt aus der Hand gefressen.»
Er hielt der Möwe noch einen Keks hin. Der Vogel nahm ihn, verschlang ihn und starrte Gaylord, begierig auf mehr, an.
Gaylord war glücklich und ganz vertieft in seine Beschäftigung. Merkwürdig, dachte May, wie so ein kleiner Junge mühelos zu Tieren Kontakt findet. Sogar zu diesem wilden, arroganten Geschöpf von Wasser und Wind.
Sie drehte sich um und wollte zu Jocelyn etwas sagen. Aber sie schwieg. Sie hatte Davids Miene gesehen.
Davids Augen ruhten starr auf dem glücklichen Gaylord. Und in seinen Augen lag ein Ausdruck, den sie nicht deuten konnte. Ein langer, brütender Blick. Wenn es nicht so absurd gewesen wäre, wenn David nicht zur Familie gehört hätte, wenn er nicht Gaylords Vetter gewesen wäre, wenn... dann hätte es nur ein Wort gegeben, mit dem sie diesen Blick hätte beschreiben mögen. Das Wort hieß Haß.
Aber es war zu absurd. Welchen plausiblen Grund hätte David denn haben können, seinen kleinen Vetter nicht zu mögen, geschweige denn ihn zu hassen? Soweit May wußte, hatten die beiden sich bisher kaum miteinander beschäftigt, denn die zehn Jahre, die sie trennten, waren schwerer zu überbrücken als jeder Abstand zwischen anderen Altersgruppen. Nein, das bildete sie sich bestimmt nur ein. Vielleicht hatte ihr Schwiegervater recht, sie war heute wirklich ein bißchen nervös.
Das Picknick war vorüber. Nachdem die Möwe sich vergewissert hatte, daß nichts mehr zu erwarten war, starrte sie die kleine Gruppe vorwurfsvoll an und hüpfte dann unbeholfen in die Dünen. Emma sagte: «Komm, wir gehen ein Eis kaufen.»
Sie war einigermaßen überrascht, als Gaylord begeistert zustimmte. Bis jetzt hatte er zwar noch keinen genauen
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