Wenn süss das Mondlicht auf den Hügeln schläft
feucht unter seinen Füßen, die Sonne brannte heiß auf seiner nackten Haut, und er rannte der ersten atemberaubenden Umarmung des Meeres entgegen.
Er war erleichtert, als er merkte, daß Emma ihm nicht folgte. Naß werden gehörte wohl nicht in ihren Spielplan.
Opa besorgte sich einen Liegestuhl, die Times und eine Zigarre und versuchte, so gut das am offenen Meer möglich war, sich seine gewohnte Gemütlichkeit zu schaffen. Doch schon schleppte eine kleine, dicke Person eifrig einen Liegestuhl an seine Seite und ließ sich hineinplumpsen. «Steht was von Mördern in der Zeitung?» fragte Emma hoffnungsvoll.
«Nicht daß ich wüßte», sagte Opa. Er hatte den Börsenbericht vor sich und überdies ja auch seine Lesebrille nicht dabei.
«Vielleicht steht auf den anderen Seiten was», sagte Emma.
«Kann sein», sagte Opa. «Aber zufällig lese ich nun mal gerade diese Seite.» Opa war äußerst ungesellig. Aber bloße Ungeselligkeit vermochte Emma nicht zu vertreiben. Sie wippte in ihrem Stuhl gemütlich hin und her und rieb sich ihren rechten Fuß. «Da war doch mal einer, der hat die Frau in Stücke gehackt und die Teile...»
Opa ließ die Zeitung sinken und blickte Emma beträchtlich angewidert an. «Und da denkt man immer, Gaylord sei die größte Katastrophe, die einen alten Mann heimsuchen kann.»
Emma dachte nach. «Meinst du, du kannst mich nicht leiden?» fragte sie.
«Das ist nicht deine Schuld», sagte Opa. «Das liegt an der Unvereinbarkeit der Temperamente.»
«Gaylord mag mich auch nicht besonders», sagte Emma. «Eine ganze Menge Leute mögen mich nicht besonders. Meinst du, das ändert sich, wenn ich mal groß bin?»
«Das bezweifle ich stark», sagte Opa.
«Ich auch», sagte Emma. Sie schaute zu Jocelyn und Jenny hinüber, die in ein Gespräch vertieft waren. «Ich glaube, Jenny ist in Onkel Jocelyn verliebt», sagte sie.
Opa war unbeschreiblich schockiert. «Sei nicht albern, Kind. Sie ist seine Nichte.»
«Nichten und Onkels können sich doch verlieben, oder nicht?»
«Ganz gewiß nicht», sagte Opa.
«Na, ich finde aber, es sieht so aus», sagte Emma. Sie stand auf und machte sich auf die Suche nach Gaylord.
Offengestanden fand Opa auch, daß es so aussah. Er würde Jocelyn gehörig die Meinung sagen. Jocelyn war nie fähig gewesen, über seine eigene Nasenspitze hinauszusehen...
Doch Jocelyn war sehr wohl imstande, darüber hinauszusehen. Vor seiner Nase lag nämlich ein sehr hübsches Mädchen in einem verführerischen Bikini. Ein hübsches Mädchen, dessen sonst so trauriges, nachdenkliches Gesicht nun aufblühte und mit der Sonne um die Wette lachte. Ein hübsches Mädchen, das obendrein genau die richtigen Dinge zu sagen wußte.
«Um ein Schriftsteller zu sein, mußt du doch ein großes Einfühlungsvermögen haben», sagte sie gerade. «Sicher fühlst du alles intensiver als andere Menschen.»
«Das glaube ich nicht», sagte er und lächelte ihr zu. «Ich glaube, ich fühle überhaupt nicht viel. Ich bin kalt wie ein Fisch, Jenny.»
«Das glaube ich dir nicht», sagte Jenny.
Opa und Emma waren nicht die einzigen, die sie beobachteten. May dachte: Ich werde die junge Dame im Auge behalten müssen. Mir gegenüber ist sie so still und brav. Aber wenn sie sich mit Jocelyn unterhält, ist sie wie umgewandelt. Und sie weiß genau, was Männer mögen. Dick aufgetragene Schmeicheleien; bewundernde Blicke und so viel weibliches Geschütz, daß man damit ein Schlachtschiff versenken könnte. Ich wette, mein alter Jocelyn kommt sich vor wie eine Mischung aus Dostojewski und dem schlimmen Lord Byron. Ein bißchen spitz rief sie: «Könntest du vielleicht herüberkommen und mir helfen, Jenny?»
«Natürlich, Tante May.» Sie schenkte Jocelyn ein rasches verstohlenes Lächeln und ging hinüber.
Gaylord tauchte aus den Wellen auf und sah seine Kusine vor sich stehen. «Ich bin bis zum Horizont hinausgeschwommen», prahlte er.
«Bist du nicht», sagte Emma. «Ich hätte dich greifen können, ohne daß mir die Füße naß geworden wären.»
«Wetten, daß nicht», sagte Gaylord hitzig. Aber er war deprimiert. Emma hatte leider recht. Er war nicht bis an den Horizont geschwommen. Vorgehabt hatte er es freilich, aber sein wildes Strampeln, das er schwimmen nannte, schien den Ozean nicht beeindruckt zu haben. Es hatte ihn nicht nur nicht vorwärts gebracht, sondern nicht einmal über Wasser gehalten. Das war schon schlimm genug. Aber daß man es sich auch noch sagen lassen mußte,
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