Wenn süss das Mondlicht auf den Hügeln schläft
Narren. Selbst die besten und nettesten - vielleicht gerade die besten und nettesten? - waren Wachs in der Hand eines hübschen und entschlossenen Mädchens, das wußte, was es wollte.
Aber was wollte Jenny eigentlich? Wahrscheinlich nichts Körperliches. Vermutlich war es nur die Sehnsucht eines kleinen Mädchens, einen reifen Mann, den sie für eine Berühmtheit hielt, zu beeindrucken. Nun, solange Jocelyn wußte, daß das alles war... Falls es so war, dachte sie bedrückt.
Sie zog den Badeanzug an und ging ans Wasser. Jocelyn und Jenny aalten sich immer noch in der Sonne, doch ihr Schwiegervater war inzwischen wach. May stellte mit boshafter Befriedigung fest, daß er die beiden finster musterte. Das dürfte genügen, um ein Techtelmechtel zu verhindern, dachte sie und schämte sich sofort, daß es mit ihren Gedanken überhaupt so weit gekommen war. Vor einem Monat noch wäre die Idee, Jocelyn könnte ein Techtelmechtel haben, so undenkbar gewesen wie die Vorstellung, Jocelyn begehe Ladendiebstähle.
Die Wellen kamen ihr entgegen, umspülten ihre Knie, ihre Schenkel, schaurig kalt schlugen sie gegen ihren Magen, und dann nahmen sie sie auf und trugen sie fort. Sie hatte die Elemente vertauscht, war aus Sonne und Luft in das kalte, salzige, erfrischende Wasser getaucht. Sie streckte die Arme vor und glitt durch die Wellen, eins, zwei, mit kraftvollen, herrlich befreienden Stößen. Das Wasser war bewegt und aufgewühlt und funkelte um sie herum. Sie schwamm zügig hinaus und holte in raschen Atemzügen Luft. Dann hielt sie inne, trat auf der Stelle und versuchte den Boden zu erreichen. Aber hier war es schon sehr tief. Sie machte eine Rolle, tauchte ins Wasser wie ein Delphin und schwamm hinunter zum Grund. Ein paar Meter schwamm sie am Boden entlang, ihre Brust streifte den welligen Sand, und dann ließ sie sich nach oben treiben, schneller, immer schneller, bis sie wieder auftauchte in die strahlende Welt aus Blau und Weiß und Sonnenglast. Sie holte tief Luft und legte sich auf das Wasser wie auf ein riesiges Bett. Die Wellen umspielten sie zärtlich. Sie war allein, vollkommen allein, und das frische, kalte, klare Meer wusch alle Sorgen von ihr ab. Sie wußte genau, an Land würden sie mit finsterer, unerbittlicher Miene auf sie warten. Doch im Augenblick war sie ihnen entkommen. Sie, May Pentecost, war heimgekehrt in die uralte Wiege aus Sonne und Salz und Wasser, dahin zurückgekehrt, wo alles seinen Anfang genommen hatte. Sie lag am Busen der rauhen, gütigen Mutter Natur. Und die Sonne beugte sich tief über sie wie das Gesicht eines Geliebten...
Sie mußte lachen. Jocelyn würde jetzt wieder sagen, ich verwechsele die Metaphern, dachte sie. Der liebe Jocelyn. Der liebe, gute Jocelyn. Sie würde einmal in aller Ruhe mit ihm reden. Mehr war gar nicht nötig. Dann würde er sie mit jenem abschätzenden Blick ansehen, den sie so gut kannte. - Ein rasches Lächeln. Eine liebevolle Berührung des Arms. Das war alles. Du lieber Gott, eine reife, erfahrene Ehefrau weiß doch wohl, wie sie mit einem Schulmädchen fertig wird. Sie lächelte verschmitzt zur Sonne auf und tauchte erneut in die grünen, schattigen Tiefen.
Sie hatte recht gehabt. Ihre Sorgen warteten an Land schon auf sie, so vertraut und vorwurfsvoll wie Verwandte. Ihr Mann und Jenny lagen noch an derselben Stelle, wo sie sie zurückgelassen hatte. Das Bild hatte sich nur insofern verändert, als Jocelyn Jenny jetzt den Rücken mit Sonnenöl einrieb. Und wenn ihr feinfühliger Jocelyn schon vor einem so abgedroschenen, durchsichtigen Manöver nicht zurückschreckte, dann war es um die Dinge schlecht bestellt, dachte May alarmiert. Sie fing einen Blick ihres Schwiegervaters auf. Der Blick des alten Mannes war ausdruckslos und doch vielsagend. Er ist doch nicht blind, dachte sie. Auch ihm gefällt das alles wenig. Sie verschwand in den Dünen, um sich wieder anzuziehen, und mit jedem Kleidungsstück würde sie mehr und mehr wieder zu Mrs. Jocelyn Pentecost, die noch kaum eine halbe Stunde zuvor eine Meeresmetamorphose durchgemacht, sich in eine Woge verwandelt hatte, sehnsüchtig wünschend, daß ihr ein Fischschwanz wüchse und sie an einer Märchenküste säße und sich die Haare kämmte. So, jetzt nur noch den Rock, und dann war Mrs. Jocelyn Pentecost fast wieder die alte. Ein
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