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Wenn süss das Mondlicht auf den Hügeln schläft

Wenn süss das Mondlicht auf den Hügeln schläft

Titel: Wenn süss das Mondlicht auf den Hügeln schläft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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bißchen Puder, ein Hauch Lippenstift, fertig! Fehlt nur noch das Etikett, dachte sie:
    Sie betrachtete sich prüfend im Spiegel, während sie die Lippen mit dem Stift nachzog. Als sie fertig war und den Spiegel wegstecken wollte, sah sie darin gerade noch eine Bewegung hinter sich in den Dünen. Sie fuhr herum.
    Etwa fünfzig Meter von ihr entfernt stand David. Sie konnte nur seinen Kopf und die Schultern sehen. Da bemerkte er sie, und selbst aus dieser Entfernung sah sie, wie er verlegen wurde. Warum? David hätte doch nur Schuldgefühle haben können, wenn sie ihn beim Auskleiden überrascht hätte. Was treibt er da bloß, dachte sie. Offenbar hielt er etwas in der Hand. Da bückte er sich und entzog sich damit ihrem Blick. Sie konzentrierte sich darauf, den Badeanzug auszuwringen. Es hatte ja schließlich keinen Sinn, den Jungen unnötig in Verlegenheit zu bringen. Als sie wieder aufblickte, trat er auf sie zu.
    Sie warf das Handtuch über ihre Schulter und sagte fröhlich: «Hallo, David.»
    «Ich...» fing er an und verstummte. Er schaute auf seine Hände und blickte rasch weg. May sah, daß seine Hände mit Sand bedeckt waren.
    Aber der Sand in den Dünen war trocken und fein. Warum klebte er an seinen Händen? Sie wollte ihm helfen und fragte: «Ja - was willst du sagen? »
    «N-nichts, Tante May», sagte er. «Ich - ich gehe jetzt zurück zu den anderen.»
    «Tu das», sagte sie. «Ich packe nur noch meine Sachen zusammen.» Sie tat so, als suche sie etwas in ihrer Handtasche. David lächelte sie gequält an und lief davon. «Ich möchte bloß wissen, wo er gewesen ist», sagte sie laut vor sich hin.
    Sie war sicher, daß sie die Stelle finden würde, wo er vorhin gestanden hatte. Sie watete durch den tiefen, weichen Sand. Ja, hier mußte es gewesen sein, ganz sicher. Sie blickte zu Boden. Auf der Oberfläche mischte sich der feinkörnige Sand mit dunklerem, festerem. Hier hatte jemand gegraben.
    May wurde es plötzlich übel. Sie kniete sich hin und scharrte den Sand weg wie ein Hund. Was hatte David hier in fliegender Eile vergraben?
    Sie grub tiefer. Und plötzlich stieß sie einen erstickten, entsetzten Schrei aus, als ihre Finger etwas Weiches berührten, das im Gegensatz zu dem kühlen, feuchten Sand ganz warm war.
    Sie mußte sich hinsetzen. Sie konnte nicht mehr. Sie wollte Jocelyn holen.
    Nein, auf keinen Fall. Sie hatte noch nie im Leben vor etwas gekniffen. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn, biß die Zähne zusammen und bohrte die Hände vorsichtig in die Grube.
    Was sie herausholte, war Gaylords Möwe. Der gebrochene Flügel hing schlaff herab. Doch nun war auch der Hals gebrochen, der Kopf war ihr schrecklich nach hinten verdreht. Die grausamen Augen waren von einem Schleier überzogen, die Federn mit Sand und Blut verschmiert, und das dunkle Blut lief in einem dünnen, warmen Rinnsal an May Pentecosts Hand herab.
     
    Sekundenlang hockte sie regungslos dort und starrte voller Entsetzen auf das, was sie da in der Hand hielt. Dann legte sie es in sein Grab zurück und glättete darüber den Sand. Sie hatte das Gefühl, sie müsse dem toten Tier eine letzte Ehre erweisen, ja sie sei, stellvertretend für die Menschheit, der ganzen Tierwelt ein Zeichen der Reue schuldig. Aber sie ließ es. Sie rieb ihre Hände am Sand und dem harten Strandhafer ab, doch das Blut klebte noch immer daran. Sie rieb wie besessen, sie hätte schreien mögen, denn sie fühlte sich so besudelt wie noch nie in ihrem Leben. Sie hätte sich am liebsten wie zu einer rituellen Reinigung ins Meer geworfen, aber dazu war keine Zeit mehr. Sie mußte David allein sprechen, ihn zur Rede stellen, ihn fragen, warum er so etwas Grauenvolles getan hatte. Warum? Warum? Warum bloß? Sie hob ihr Handtuch auf und wischte sich immer wieder verzweifelt die Hand daran ab, während sie zu den anderen zurückging.
     
    Sie kam mitten in eine Familienkrise hinein. Sobald sie in Sicht war, kam Jocelyn ihr eilig entgegengelaufen. «Da bist du ja, Liebling. Ich fürchte, wir müssen sofort nach Hause.»
    Sie hatte das Gefühl, daß sie einem weiteren Schock nicht mehr gewachsen war. «Warum? Was ist los? » fragte sie beklommen.
    «Vater geht’s nicht gut. Seine Lumbago ist ganz schlimm geworden. Wir müssen so rasch wie möglich zusammenpacken.»
    Sie rannte los. Opa saß schon im Wagen und fluchte leise vor

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