Wenn Tote schwarze Füße tragen
Stadt.“
Ich wende mich an Dorville.
„Sie haben die Friseuse besucht,
sagten Sie. Flaben Sie auch mit den anderen Personen auf dieser Liste Kontakt
aufgenommen?“
„Ja. Mit eher enttäuschendem Ergebnis.
Mademoiselle Bacan hat Agnès Dienstag bei Schulschluß zum letzten Mal gesehen.
Sie haben sich voneinander verabschiedet, und damit hatte es sich, Estarache
trifft Agnès gelegentlich im Park der Esplanade, wo die Jugend so ab 18 Uhr
umherschlendert. Aber er ist krank und hat seit drei Wochen das Haus nicht mehr
verlassen. Also Fehlanzeige... Und auch Roger Mourgues, der Sohn des Nachbarn, hat
Agnès seit einiger Zeit nicht mehr gesehen. Seit zwei Monaten fährt er nicht
mehr mit dem Bus. Sein Vater hat ihm ein Auto gekauft... Ich fürchte, Burma,
die Liste führt Sie nicht sehr weit.“
„Abwarten... Was anderes: die Institution
Sévigné. Womit haben Sie das längere Fehlen Ihrer Tochter entschuldigt?“
„Ich habe sie krankgemeldet“,
antwortet Dacosta.
„Ich werde mich nämlich dort ein wenig
umhören, müssen Sie wissen“, erkläre ich meine Frage.
Das scheint ihm nicht sonderlich zu
gefallen, dem Herrn Papa. Er macht eine resignierte Handbewegung. Ich entlocke
ihm den Namen der Direktorin und setze die Dame auf die Liste: Mademoiselle
Bouzignes.
„Kündigen Sie bitte morgen früh —
besser gesagt: heute früh — meinen Besuch an, ja?“
„In Ordnung.“
Ich stecke die Liste mit den fünf
Namen ein und stehe auf. Der Hausherr steht bereits. Er brennt förmlich darauf,
mir das Zimmer seiner Tochter zu zeigen.
„Oben gibt es jede Menge Fotos von
ihr“, sagt er. „Vor allem eins, auf dem sie in dem grauen Kostüm abgebildet
ist, das sie letzten Dienstag anhatte.“
Wir gehen hinauf.
Sauber ist das Zimmer, aber es macht
einen unbewohnten Eindruck. Doch nicht nur, weil seine Bewohnerin zur Zeit
irgendwo in der Weltgeschichte herumläuft. Der Eindruck wäre derselbe, auch wenn
Agnès auf ihrem Bett liegen würde. Das Zimmer ist kalt und unpersönlich, frei
von den kleinen Dingen, mit denen junge Mädchen ihre Umgebung liebevoll zu
schmücken pflegen. Ein Zimmer, in dem sich die Bewohnerin nie wohlgefühlt,
sondern offensichtlich furchtbar gelangweilt hat. Nicht mal ein Foto an der
Wand, eins von diesen singenden Schwachköpfen zum Beispiel, die so sehr in Mode
sind und bei der jungen Generation solche Begeisterungsstürme hervorrufen. Die
triste Blümchentapete muß wohl noch von den früheren Bewohnern stammen.
Dacosta zieht die Schublade einer
Kommode auf und holt einen Stapel Fotos heraus, zum großen Teil Schnappschüsse
von Amateurfotografen. Sogleich fischt er dasjenige heraus, auf dem seine
Tochter in einem Kostüm zu sehen ist, und reicht es mir. Das Kostüm ist gut
getroffen: hellgrau, von der Stange, „mit feinen blauen Längsstreifen“,
präzisiert Dacosta. Um jedoch eine Vorstellung von ihrem Gesicht zu bekommen,
muß ich noch ein wenig suchen. Glücklicherweise enthält der Stapel wahre
Schätze. Zwei Paßfotos unter anderem, unretuschiert. Agnès sieht hübsch aus,
hat große, neugierig leuchtende Augen und einen sinnlichen Mund. Diese billigen
Abzüge ohne trickreiche Künstlichkeit strahlen einen unbestreitbaren
Lebenshunger aus.
„Hier ist noch eins“, brummt Dacosta
und zieht beinahe angewidert ein großformatiges Foto aus einem festen Umschlag.
„Als ich’s gesehen habe, hätte ich’s am liebsten zerrissen.“
Das wäre ein Fehler gewesen! Es ist
ein Glanzfoto, unzweifelhaft die Arbeit eines Profis oder zumindest die eines
Bildreporters, allerdings unsigniert. Ausgeklügelte Perspektive, geschickte
Einbeziehung von Licht und Schatten, all jene technischen Raffinessen wurden
angewandt, um Agnès’ Schönheit zur Geltung zu bringen. Im Halbprofil, das braune
Haar über die nackte Schulter fallend, den Daumennagel frech an die Unterlippe
gelegt, wirkt das Mädchen verführerisch und sehr sexy. Der Ansatz ihrer Brüste,
den das Dekolleté des Abendkleides enthüllt, ist vielversprechend... und hält
es sicherlich auch.
„Wie eine Hure!“ schimpft der Vater.
„Dieses gottverfluchte, verdorbene Land! Was wollte Agnès mit so einem Foto?“
„Vielleicht an eins dieser Magazine
schicken, die auf der Jagd nach Filmsternchen sind“, vermute ich. „Oder sie hat
sich zu ihrem eigenen Vergnügen so fotografieren lassen, aus verständlicher
Eitelkeit. Denken wir doch an das Naheliegende! Frankreich hat nichts damit zu
tun. Seien Sie froh, daß Ihre Tochter so
Weitere Kostenlose Bücher