Wenn Tote schwarze Füße tragen
weiß, wo und mit wem Agnès in der letzten Zeit
geschlafen hat, dann ist sie es.
Vielleicht ist es noch etwas zu früh,
als daß sie von der Arbeit nach Hause gekommen ist; aber ich kann mir ja schon
mal ihre Wohnung ansehen. Ich werfe also einen Blick auf den Stadtplan und
mache mich auf den Weg.
Ich lasse meine Dauphine auf dem
Parkplatz der Präfektur stehen und gehe zu Fuß zur Rue Bras-de-Fer. Anders wäre
es auch gar nicht möglich, denn mit dem Wagen kann man nicht in die Straße
fahren. Es ist ein schmaler Weg, in den die Sonne nur selten vordringt. Die
alten Häuserwände sind beredte Zeugen von Jahren, Geschichte und Feuchtigkeit.
Der muffige Geruch ist so pittoresk wie stark und stammt nicht nur aus der
Vergangenheit. Und wie standhaft er ist! Der plötzlich aufkommende Wind kann
ihn nicht vertreiben.
Im Nachbarhaus der Friseuse befindet
sich ein Laden, dessen Auslagen sich bis auf den Weg ergießen. Ich muß über
eine Kollektion von Besen, über kleine Käfige für Hausgrillen und verschiedene
Korbwaren steigen, bevor ich in den dunklen Flur des Nachbarhauses gelange. Die
Haustür hat einen Rest an Vornehmheit bewahrt. Eine Concierge, die ich um
Auskunft bitten könnte, gibt es nicht. Stattdessen hängen drei Briefkästen in
einer Reihe an der Wand. Ich reiße ein Streichholz an und sehe, daß die Person,
die ich suche, in der dritten und obersten Etage wohnt. Ich steige die
gefährlich steile Treppe mit den ausgetretenen Stufen hinauf.
Es ist einer dieser alten Kästen, in
denen es pro Etage nur eine Wohnung gibt (was gar nicht schlecht ist) und sich
die Klos auf dem Treppenabsatz befinden (was schon weniger angenehm ist). Die
Bruchbude ist reif für den Abbruch. Der Wind läßt das Gebälk des Hauses
aufstöhnen, und das Gelände zittert bei jeder Berührung meiner Hand.
Am Ziel meines Aufstiegs angelangt,
klopfe ich an die Wohnungstür der Friseuse. Sie protestiert (die Tür, nicht die
Friseuse!), indem sie beunruhigend in ihrem Rahmen ächzt. Ich glaube, man muß
nur heftig pusten, um sie aus den Angeln zu heben.
Wie erwartet, ist Mademoiselle
Crouzait noch nicht von der Arbeit zurück. Gut, dann werde ich also später noch
einmal wiederkommen... werde später wiederkommen... und bleibe vor der Tür
stehen, unbeweglich, horchend... Ich könnte schwören, daß ich drinnen, durch
die Tür und den jammernden Wind hindurch, ein Geräusch gehört habe. Klang so,
als hätte man mit Gläsern angestoßen. Prösterchen, Schwesterchen! In einem
beruflichen, wenn auch wenig vornehmen Reflex bücke ich mich und sehe durchs
Schlüsselloch. Hinter einem kleinen Flur erblicke ich durch eine offenstehende
Tür einen Raum, der wohl ein Eßzimmer ist. Vor kurzem muß eine kleine
Saalschlacht stattgefunden haben. Das verrät mir ein umgekippter Stuhl in
meinem Blickfeld. Mehr kann ich leider nicht sehen.
Ich richte mich wieder auf und atme
kräftig aus. Nein, ich habe unrecht gehabt. Durch bloßes Pusten springt die Tür
nicht auf. Ich hole also aus und versetze ihr in Höhe des Schlosses einen
gutgezielten Fußtritt. Berstend gibt die Schließvorrichtung nach.
Ein heftiger Windstoß weht mich, fast
gegen meinen Willen, in die Wohnung. Ich verscheuche mit der Hand ein paar
aufdringliche Fliegen, die sich einen Dreck um den Wind scheren, und stürze ins
Eßzimmer.
Ich bin ein ziemlich altmodischer
Mensch. Frauen, die sich nicht weiblich geben, mag ich nicht. Ich mag keine,
die sich in Männerhosen werfen. Ich mag keine, die sich bei den ersten
Sonnenstrahlen des Frühlings ihrer Strümpfe entledigen.
Christine Crouzait ist ein Mädchen
nach meinem Herzen. Trotz des warmen Wetters hat sie ihre Strümpfe anbehalten.
Einen an jedem Bein und einen dritten um den Hals. Letzterer hängt an einer
Deckenlampe.
Unfrisiert (wie es sich für eine
Friseuse eigentlich nicht gehört), umschwirrt von summenden, in allen Farben
schillernden Fliegen, schwankt Christine Crouzait leicht im Mistral. Ihre Füße
mit den hochhackigen Pumps schweben über einem umgekippten Stuhl. Über ihrem
Kopf klimpern lustig die falschen Kristalltränen des billigen Leuchters.
* * *
Ich bleibe zehn Sekunden wie
versteinert stehen. Übelkeit, der ständige Begleiter eines Leichensammlers,
würgt mich. Ich hatte viel von der Friseuse erwartet, aber doch nicht solch ein
Schauspiel! Schweiß bricht mir aus, mein Hemd klebt mir am Körper. Ich lausche.
Da kein Geräusch zu hören ist, werde ich wieder ein wenig mutiger.
Zu Lebzeiten war
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