Wenn Werwolf-Pranken streicheln
Das Haar trug er gescheitelt, es zeigte die ersten grauen Strähnen. Der blaue Anzugstoff floß weich um seinen Körper. Dazu trug er ein hellblaues Hemd und eine dezente Krawatte. Die Augen waren hinter den getönten Brillengläsern kaum zu erkennen, sein Händedruck war fest. Dieser Mann gab sich noch sehr beherrscht.
»Darf ich noch einmal zusammenfassen?« fragte Detering.
»Ich bitte darum.«
»Die Kidnapper haben sich inzwischen gemeldet und drei Millionen Pfund Lösegeld verlangt. Wann und wo es übergeben werden soll, steht noch nicht fest. Zudem haben sie zur Bedingung gemacht, daß wir uns heraushalten sollen. Also keine Polizei. Ich, Mr. Sinclair, befinde mich schon auf dem Rückmarsch.«
»Und Sie werden sich auch weiterhin nicht einmischen«, erklärte Cole Harper.
»Meine Ansichten kennen Sie, Mr. Harper.«
Der Versicherungsmann schlug mit der Faust auf die Intarsienplatte des Tisches. »Ich weiß, wie Sie denken. Polizisten müssen das. Aber ich will mein Kind zurückhaben und werde zahlen.«
»Bekommen Sie es dann auch zurück? Mr. Harper?«
»Das ist mein Risiko.«
Ich kannte dieses Dilemma. Wir konnten nichts machen, wenn die Eltern nicht einverstanden waren. Dabei war es besser, sich der Polizei anzuvertrauen. Oft genug hatten die Erpresser ihr Wort anschließend nicht gehalten.
Cole Harper wandte mir sein Gesicht zu. »Das gilt auch für Sie, Mr. Sinclair.«
Ich lächelte knapp. »Natürlich, obwohl ich eigentlich wegen eines anderen Grundes zu Ihnen gekommen bin.«
»Und weshalb?« Harper und seine Frau gaben sich erstaunt. Sie saugte an einer Zigarette mit weißem Mundstück.
»Es ging mir um dieses Interview, das Ihre Tochter in der Schule gegeben hat.«
Harper nahm seine Brille ab. Er hatte dunkle Augen, fast so schwarz wie Kohlestücke. »Und den Quatsch glauben Sie?«
»Ach, Sie haben davon gehört?«
»Ja, man brachte es mir nahe. Ich will Ihnen etwas sagen. Gwen ist überspannt. Sie hat eine ungewöhnlich große Phantasie und bildet sich Dinge ein, die überhaupt nicht existieren. Sie schwärmt auch davon, Schauspielerin oder Autorin zu werden. Das sind alles Dinge, die in ihre kindliche Welt hineinpassen. Werwölfe als Großeltern. So etwas ist einfach lächerlich, Mr. Sinclair.«
»Sie hat mit Ihnen aber nie darüber gesprochen?«
»Nein, und ich will auch nichts mehr davon hören.«
»Darf ich noch erfahren, wie die Entführung ablief?«
»Das ja, danach ist Schluß.« Harper deutete auf den Commissioner.
»Erklären Sie es Ihrem Kollegen.«
Das tat Detering auch. Ich erfuhr, daß es Zeugen gab, sie aber hatten kaum etwas gesehen, weil alles viel zu schnell abgelaufen war. Die beste Zeugin war Brenda Rattigan, das Kindermädchen. Sie hatte direkt am Wagen gestanden, als man ihr Gwen von der Hand riß, und sie hatte drei Kidnapper gezählt.
Beschreiben konnte sie diese Männer nicht.
»Wie geht es ihr jetzt?« wollte ich wissen.
»Sie liegt oben in ihrem Zimmer. Der Arzt hat ihr eine Beruhigungsspritze gegeben.«
Zum erstenmal meldete sich Eve Harper zu Wort. Ihre Stimme klang hektisch, als sie sagte: »Dabei haben wir Brenda immer wieder eingeschärft, die Augen offenzuhalten.«
Cole Harper nickte. »Die Quittung wird sie bekommen. Ich werde sie entlassen.«
Der Mann gefiel mir überhaupt nicht. »Ohne Miss Rattigan in Schutz nehmen zu wollen, möchte ich dennoch behaupten, daß auch von Ihnen beiden keiner die Entführung hätte verhindern können. Wer so einen Plan durchführt, hat ihn durchdacht. Das waren Profis, Mr. Harper. Sie tun Ihrem Kindermädchen unrecht.«
»Sie reden, als wären sie dabeigewesen.«
»Ich kenne ähnliche Fälle.«
»Wir haben den Wagen der Kidnapper übrigens gefunden«, sagte Detering.
»Leer, nicht?«
»Ja, ein gestohlener Mercedes. Fingerabdrücke fanden wir jede Menge, aber keine der Kidnapper.«
Cole Harper schaute auf seine Uhr. »Wenn die Gangster tatsächlich Profis sind, werden Sie mein Haus möglicherweise beobachten. Deshalb möchte ich Sie bitten, sich von meinem Grundstück zurückzuziehen. Ich möchte auch nicht, daß Sie es heimlich überwachen lassen oder mein Telefon anzapfen.«
»Keine Sorge, Mr. Harper«, beruhigte Detering ihn. »Für Dinge dieser Art sind wir nicht zuständig.«
»Man hört schließlich so einiges.«
»Sie sagen es, Sir. Nur frage ich mich, ob es immer die Wahrheit ist, die man hört.«
Harper ging bereits zur Tür. Ich warf noch einen Blick auf seine Frau. Sie rauchte schon wieder.
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