Wenn Werwolf-Pranken streicheln
Brenda gewöhnt. Die beiden verstanden sich ausgezeichnet, und einmal hatte Gwen ihr gesagt, daß sie sie viel lieber hätte als ihre Eltern. Aber nicht so lieb wie die Großeltern, von denen sie immer geschwärmt hatte.
Bei einer Nachfrage hatte die Kleine nur gelacht. »Vielleicht lernst du sie eines Nachts kennen.«
»Warum in der Nacht?«
»Weil sie nur dann kommen können.«
Brenda wunderte sich, daß sie gerade in diesem Augenblick an das Gespräch denken mußte. Es lag noch nicht allzu lange zurück. Einige Tage nur. Sie hatte nicht mehr weiter nachgefragt, denn sie wußte, daß Gwen ein Mädchen von überschäumender Phantasie war. Wenn sie spielte, bewegte sie sich stets in einer irrealen Welt. Da wurden ihre Puppen zu Lebewesen, sie befanden sich dann in anderen Welten, meistens dort, wo auch die Märchen angesiedelt waren. Es gab Ungeheuer und Monster, aber Gwen hatte sich nie vor ihnen gefürchtet. Für sie waren die schrecklichsten Wesen immer wie gute Freunde, mit denen sie sich unterhielt.
Brenda hatte versucht, diese Phantasiewelt des Kindes zu brechen, es war ihr nicht gelungen. Gwen besaß einen ungemein starken Willen, sie ließ sich durch nichts und niemand davon abbringen. So war dem Kindermädchen nichts anderes übriggeblieben, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen, deshalb hatte sie sich mit dem Kind so gut verstanden.
Die schulischen Leistungen hatten unter diesem Spiel-und Phantasietrieb nie gelitten. Sie lagen über dem Klassendurchschnitt. Brenda griff zu einer Zigarette. Sie rauchte nur selten, jetzt hatte sie das Bedürfnis. In der Küche goß sie noch Whisky in ein Glas. Mit der Zigarette und dem Glas in den Händen ging sie zurück in ihr Zimmer und zog die Gardine zur Seite, um nach draußen schauen zu können. Es war Vollmond.
Er stand als gelbes Auge am Himmel, beobachtete die gesamte Erde, und nichts schien ihm dabei zu entgehen. Sein Licht wirkte auf Brenda unheimlich, sie mochte diesen fahlen Schein nicht, im Gegensatz zu Gwen. Das Kind hatte den Mond lieber als die Sonne. Brenda fand plötzlich, daß es im Zimmer muffig roch. Sie öffnete die schmale Tür, trat auf den Balkon und ließ frische Luft in den Raum. Die Zigarette ließ sie in einen Blumenkübel fallen.
Der Balkon besaß eine halbrunde Form. Ein ebenfalls halbrundes Eisengitter bewahrte vor einem Sturz in die Tiefe. Das Kindermädchen trank einen Schluck. Brenda schüttelte sich dabei, leerte das Glas trotzdem bis zum Boden und ging vor zum Gitter, auf das sie eine Hand legte.
Die Nächte waren noch immer kühl. Glücklicherweise trug sie die leichte Strickjacke. Durch das Kleid wäre der Wind gefahren. Wenn sie ihren Blick nach links drehte, konnte sie in den Teil des Gartens schauen, der den Harpers ein Dorn im Auge war, weil er mehr einem Dschungel glich. Aber Gwen hatte ihn gemocht. Dieser Garten war für sie ein kleines Paradies gewesen. Wenn sie zum Spielen hinausging, dann nur dorthin, wo sie sich wohlfühlte. Sie schien auch in einer anderen Welt zu leben.
»Da wohnen Geister, Elfen und Zwerge, aber auch Ungeheuer«, hatte sie vor kurzem mit ungeheurem Ernst in der Stimme dem Kindermädchen erklärt.
»Und du hast sie gesehen?«
»Ich spreche mit ihnen.«
Brenda Rattigan hatte darüber nur gelacht und Gwen in dem Glauben gelassen.
Jetzt, wo sie selbst aus der Höhe in den Garten hineinschaute, war sie sich nicht mehr so sicher. Sie konnte sich vorstellen, daß sich dort, wo das bleiche Mondlicht nicht hinkam und die Finsternis dicht wie schwarze Watte war, etwas versteckte, das nicht in diese Welt hineinpaßte… Der Abendwind fuhr durch den Garten. Es war noch nicht völlig dunkel geworden, aber in einigen Minuten würde sich die Nacht über diesen Teil des Gartens legen, in dem keine Laternen standen, wie in der parkähnlichen Landschaft und auch nahe des Haupteingangs. Die Dunkelheit war immer Gwens Freund gewesen. Sie hatte sich nie davor gefürchtet.
Die Kleine war schon ein sehr ungewöhnliches Mädchen… Hoch über dem Geäst der Bäume stand der Mond. Brenda konnte nicht anders, sie mußte immer wieder hinschauen. Eine Erklärung hatte sie nicht, die runde Scheibe hatte sie sonst nicht angezogen. In ihr waren Schatten zu sehen. Für Gwen war dies klargewesen. Riesige Ungeheuer, die den Mann im Mond bewachten.
Dann hörte sie das Heulen…
Zuerst dachte sie an eine Autohupe, die auf der fernen Straße aufgeklungen war. Aber solche Hupen kannte sie nicht. Das Heulen hatte sich
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