Wenn Wir Tiere Waeren
nicht ernst genommen hatte, weil ich zu jung oder zu ahnungslos oder zu verliebt war. Ich hatte mich damals nicht gescheut, zu Thea bei mehreren Gelegenheiten sogar: Ich liebe dich zu sagen. Thea sah mich misstrauisch bis abschätzig an und sagte nach meinem dritten oder vierten Geständnis: Das ist ein Klischee.
Daraufhin sagte ich nichts mehr in dieser Richtung, bewunderte Thea aber noch mehr wegen ihrer Sprachskepsisund ihres Mutes. Ich bewunderte sie, weil sie eine junge Intellektuelle war, und als solche war sie mir weit voraus. Ich wollte selbst ein Intellektueller werden und nahm Theas Kritik eher sportlich. Erst sehr viel später fiel mir ein Gegenargument ein. Wenn das Liebesgeständnis ein Klischee ist, hätte ich sagen können, dann ist auch die Liebe selbst ein Klischee, und das kann doch wohl nicht sein. Aber es fand sich keine Gelegenheit mehr, mein Gegenargument auszusprechen. Ich war damals weder schlagfertig noch frech. Thea studierte damals Germanistik und Philosophie und wusste stets, was sie sagen könnte, jedenfalls glaubte sie das. Ich bereitete mich auf den Beruf des Architekten vor, von dem ich damals schon glaubte, dass er von zu vielen Menschen ausgeübt wurde – und litt deswegen an einer gewissen Minderwertigkeit. Erlenbach löste sich von seinen Gesprächspartnern und kam auf mich zu.
Ich such Sie schon die ganze Zeit, sagte er.
Oh, machte ich und erschrak leicht.
Keine Angst, sagte Erlenbach, ich will Sie nur auf einen kommenden Auftrag vorbereiten. Sie haben doch schon an der Statik der Hängebrücke mitgewirkt, nicht?
Ja.
Haben Sie an so etwas noch Interesse?
Ja, immer, sagte ich.
Einen solchen Auftrag kriegen wir nicht alle Tage.
Ich auch nicht, antwortete ich.
Erlenbach lachte.
Zu gegebener Zeit erfahren Sie mehr, sagte er, ich wollte nur mal ein Zeichen geben.
Oh, nett, vielen Dank, stieß ich hervor.
Erlenbach schob sich wieder unter die Leute. Ich versuchte, über Erlenbachs merkwürdigen Vorstoßnachzudenken, ohne Ergebnis. Karin zündete die Kerzen auf den Kerzenständern an und dimmte das elektrische Licht herunter. Natürlich hatte ich das Gefühl, dass damit auch mir selbst der Strom abgestellt wurde. In Zimmern mit nicht ausreichendem Licht übermannte mich rasch die Müdigkeit. Gleichzeitig war ich plötzlich sicher, dass Karin und ich seit langer Zeit auf den Tod von Michael gewartet hatten. Vermutlich hatten die anderen unsere wechselseitige Fixierung längst bemerkt und warteten, ob etwas passierte. Vermutlich wäre es besser gewesen, wenn ich nach Hause gegangen und Karin von dort angerufen hätte. Wenn wir flugfähige Tiere gewesen wären, hätten wir dann und wann mit den Flügeln schlagen können. Aber wir waren Menschen und verhielten uns, trotz aller Offenheit, verhüllend. Karin kam auf mich zu und fragte, ob ich sie nächster Tage zu einem Arzttermin in die Nähe von Wiesbaden fahren könne.
Ich war verdutzt, sagte aber zu.
Weißt du schon den Tag?
Vermutlich am Mittwoch, sagte Karin.
Ich stell mich darauf ein, antwortete ich.
Ich wusste von Michael, dass Karin dann und wann eine auswärtige Klinik besuchen musste. Als Michael noch lebte, fuhr er sie hin und nörgelte darüber im Büro. Karin hatte selbst einen Führerschein, fuhr aber nicht mehr gerne. Das Auto hatte sich ihr entfremdet oder der Verkehr erfüllte sie mit Angst oder was auch immer, sie wusste es selbst nicht genau. Für ihren stets auf Rationalität bedachten Ehemann war diese Ungenauigkeit nicht leicht zu ertragen. Eine kleine Frau trug einen Stapel weißer Teller durch den Raum. Offenbar wurde gleich eine Leckerei für den mittleren Abend serviert. Meine Augenbrauenjuckten. Ich wollte immer noch gerne nach Hause, aber ich fürchtete den Eindruck der Unhöflichkeit. Ich trieb mich vor der Bücherwand herum und las die Titel. Nach kurzer Zeit erschien Karin neben mir und fragte, ob sie mir etwas zu trinken bringen könne. Ich hatte genug getrunken und antwortete ausweichend.
Du kannst von den Büchern haben, was du willst, sagte sie.
Oh, machte ich.
Die meisten Bücher besaß ich selbst. Es waren die repräsentativen Titel der siebziger und achtziger Jahre. Das dritte Buch über Achim von Uwe Johnson, Stiller von Max Frisch, Ansichten eines Clowns von Heinrich Böll. Dazwischen vieles, was ich nicht kannte. Ich zog je einen Roman von Janet Frame und August Strindberg heraus und sagte zu Karin: Die beiden hätte ich gern.
Oh! rief Karin aus, die bitte nicht! Die hat mir
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