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Wenn Wir Tiere Waeren

Titel: Wenn Wir Tiere Waeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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untere, die rechte Hand die obere Hälfte. Ich erinnerte mich, dass ich schon fürchtete, dass die immerzu bewegliche Umklammerung meines Schwanzes zu einem vorzeitigen Samenabgang führen könnte. Jetzt, hier in der Zelle, an die Wand neben dem Waschbecken gelehnt, kehrte diese Furcht mit schmerzlicher Schärfe zurück. In meiner Hose war kein Taschentuch. Ich machte mit dem Körper eine Vierteldrehung, so dass sich der Same in das Waschbecken ergoss. Ich war erstaunt, wieviel es war. An den vielen pollenartigen Flecken erkannte ich, wie lange ich schon nicht mehr mit einer Frau zusammen war.
    Ich verstaute das Geschlecht zurück in die Hose, wusch mir die Hände und säuberte das Waschbecken. In diesenAugenblicken hörte ich, wie jemand einen Zellenschlüssel in das Schloss stieß und die Zellentür sich wenig später öffnete. Der Schließer schaute kurz in meine Zelle und ließ dann einem Mann in einem dunklen Anzug den Vortritt. Der Mann hatte ein Papier in der Hand, ging auf mich zu und stellte sich vor: Kellermann.
    Ich bin der Haftrichter in Ihrer Sache, sagte er, Sie wissen, dass Sie wegen Betrugs hier sind?
    Ich nickte.
    Während der kurzen Szene blieb der Schließer in der offenen Zellentür stehen und beobachtete mich.
    Sie haben einen festen Wohnsitz, sagte der Haftrichter, Fluchtgefahr besteht bei Ihnen nicht. Wegen der Geringfügigkeit Ihres Delikts werden Sie vermutlich nicht lange in Haft bleiben müssen. Haben Sie Verwandte, Eltern, Geschwister, Freunde?
    Weil mir nichts anderes einfiel, sagte ich: Meine Eltern sind tot.
    Haben Sie niemanden, den wir von Ihrer Haft benachrichtigen können? Eine geschiedene Frau, irgend jemand?
    Ich überlegte kurz und nannte dann Marias Adresse.
    Haben Sie etwas dagegen, dass wir diese Dame benachrichtigen?
    Ich hatte etwas dagegen, sagte aber dann doch: Ich habe nichts dagegen.
    Wünschen Sie einen Besuch des Seelsorgers?
    Auch dagegen hatte ich etwas, sagte aber dann noch einmal: Nichts dagegen.
    Der Haftrichter erhob sich und ging zur Tür. Er wandte sich um, sagte auf Wiedersehen und verschwand. Der Schließer warf die Tür zu und verschloss sie. Ich ärgerte mich jetzt doch, dass ich Karins Adresse nicht angegebenhatte. Aber ich spekulierte schon mit meiner baldigen Entlassung. Außerdem hoffte ich, die Haft vor Karin verheimlichen zu können. Ich rechnete damit, dass mich die Frau, die mir davongelaufen war, in Kürze besuchen würde. Schon empfand ich wieder Sehnsucht nach beiden Frauen. Offenbar war es einem Schicksalsschlag möglich, die vollzogene Trennung von Maria in meinem Bewusstsein wiederaufzuheben. Das verstand ich nicht und ich verstand es doch. Wenn ich nicht eben erst onaniert hätte, hätte ich es jetzt tun müssen. Dabei galt der onanistische Akt nicht meinem Verlangen, sondern der Scheu vor der Zelle. Der Samenfluss hatte den Haftraum vor meinen Augen sowohl vernichtet als auch erobert, so dass ich ihn jetzt real betreten konnte. Ich durchquerte der Länge nach die Zelle und legte mich auf die Pritsche. Das Kissen roch, die Wolldecke ebenfalls. Ich erinnerte mich an den Satz des Haftrichters, dass Fluchtgefahr bei mir nicht bestehe. Es ärgerte mich, dass mich der Haftrichter verkannt hatte, und es freute mich, dass ich einen meiner Hauptlebenstriebe hatte verhüllen können. Der Wunsch nach Flucht war vermutlich der beständigste Impuls meines Lebens. Es gab so gut wie nichts, wovor ich nicht hatte fliehen wollen: vor meinen Eltern, vor dem Kindergarten, vor der Schule, vor Thea, vor Wohnungen, vor der Kultur, vor dem Militär, vor der Festanstellung, vor Maria. Viele Fluchten waren gelungen, einige nicht, wieder andere standen immerzu auf der Kippe. Einerseits herrschte um mich herum vollkommene Reglosigkeit, andererseits drang der Lärm des Gefängnisses auch in meine Zelle. Immerzu knallten Zellentüren zu, oder, wie jetzt, ein Schließer stieß die Essensklappe auf, weil es schon wieder Mittags- oder Abendessenszeit geworden war. Immer mal wieder schrien einzelne Männer die WörterFicken oder Fotze aus ihren Zellen heraus. Ich erwartete, dass das Wort Mama geschrien wurde, aber dieses Wort schrie niemand. Ein Gefangener rief nach der Melodie Kuckuck Kuckuck rufts aus dem Wald die Zeile Fickfack Fickfack rufts aus dem Knast. Jedesmal gab es Männer, die darüber lachten.
    Schon am nächsten Tag besuchte mich Maria. Ein Schließer holte mich aus der Zelle und führte mich in den Besuchsraum. Viel reden konnten wir nicht. Ein Wachmann stand

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