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Wer abnimmt, hat mehr Platz im Leben

Titel: Wer abnimmt, hat mehr Platz im Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Stelter
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Anfang meiner neuen Passion für den Laufsport musste ich also investieren.
     
     

Der Willi
     
     
     
     
    Eines schönen Februarnachmittags fuhr ich zum Laden von Willi Kenzenich. Er ist der anerkannte Laufpapst meiner Heimatstadt.
    Ich würde mir gerne mal ausmalen, welche Gedanken Willi ereilten, als er mich sein Mekka aller Läufer und Walker betreten sah. Wahrscheinlich gab es verschiedene Möglichkeiten:
     
    1. Der hat die Midlife-Crisis und / oder eine neue, vermutlich jüngere Freundin.
    2. Meine Güte, das sind sicher zweieinhalb Zentner. Den schickt sein Arzt, oder Herbert hat an Silvester im alkoholisierten Zustand wieder einen Tipp gegeben.
    3. Die einzige Funktionskleidung, die dem passt, ist von Roncalli – und die führen wir nicht.
    4. Der hat gerade sechs Wochen Karneval hinter sich, der kann sich verdammt teure Schuhe leisten.
    Ich weiß es nicht, aber ich hoffe mal, es war die fünfte Alternative:
    5. Willi Kenzenich ist Laufpapst, haben alle gesagt, und jeder Papst ist auch Missionar.
     
    Jedenfalls kam Willi Kenzenich mir fröhlich entgegen und erkundigte sich nach meinen Wünschen: »Na, Jung, wat es loss?«
    Ich lächelte ihn stolz an und berichtete: »Ich möchte anfangen zu joggen, und ich brauche eine Ausrüstung dafür. Das einzig Sportliche in meinem Kleiderschrank ist ein Trikot der deutschen Nationalmannschaft von der WM 1990 mit der Rückennummer von Andi Brehme, und das sitzt mittlerweile ziemlich körperbetont.«
    Willi war keinesfalls überrascht oder entsetzt oder entrüstet, oder er war es vielleicht doch, ließ es sich aber nicht anmerken. Ich glaube aber eher, er war einfach mit Feuereifer bei der Sache. Er reichte mir ein paar unglaublich hässliche lila-weiße Laufschuhe, die bestenfalls den einen Vorteil hatten, dass kein noch so aggressiver Straßenköter einen Läufer beißen würde, der in diesen Tretern unterwegs ist, es sei denn, die Töle ist zwölf Jahre alt und farbenblind. Ich wollte gerade etwas sagen, wie »Ich bin angehender Läufer und kein Gangster-Rapper« oder »Wenn ich hässliche Schuhe tragen wollte, könnte ich ja gleich Golf spielen«, aber Willi sah wohl die Fassungslosigkeit in meinem Blick und entschuldigte sich sofort: »Dat is nur wejen der Größe. Passen die?«
    So ein Laufpapst hat nun mal einen Blick für Schuhgrößen. Die Dinger saßen wie angegossen, und das Lila harmonierte wirklich perfekt mit meiner beigefarbenen Cordhose und dem grünen Polohemd. Nachdenklich betrachtete Willi die Straßenschuhe, in denen ich gekommen war, und sagte dann: »Jung, dann lauf mal hier längs!«
    Er wies mir einen Weg durch die achtundfünfzig Quadratmeter seines Ladens, und diesmal war ich keinesfalls überrascht oder entsetzt oder entrüstet, oder ich war es vielleicht doch, aber jetzt ließ ich es mir nicht anmerken. Mein Feuereifer hielt sich zwar durchaus in engen Grenzen – das Feuer, das in mir brannte, hatte etwas von einem verlöschenden Teelicht –, trotzdem machte ich mich auf den beschwerlichen Weg. Ich walzte durch den Laden. Die Ständer mit den Nordic-Walking-Stöcken vibrierten, Trinkflaschen fielen aus dem Regal.
    Willi legte sich währenddessen flach auf den Fußboden. Er sah ein bisschen so aus wie der Indianer in den alten Western, der sein Ohr auf die Eisenbahnschiene legt, um nach wenigen Sekunden mit grüblerischer Miene den Typ der Dampflokomotive zu verkünden, dazu den genauen Zeitpunkt ihres Eintreffens, die Anzahl der Passagiere und die Blutgruppe des Lokführers.
    Willi hatte allerdings nicht das Ohr auf den Boden, sondern die Augen auf meine Füße geheftet. Als ich vier Mal das Schaufenster erreicht und den Rückweg absolviert hatte, rief er, um eine zweite Meinung einzuholen, seine Ehefrau. Sie legte sich neben ihren Mann.
    Irgendwann stand Willi wieder auf und sagte: »Was meinst du? Ich würde sagen: Linkshänder, starker Pronierer, Hühnerauge rechts und Plattfüße.«
    Sie nickte. »Rollt links stärker über den großen Onkel ab.«
    »Ja, sischer. Weil dat linke Bein och wat kürzer is.«
    »Jenau.«
    Ich stand völlig verdattert da. Mein Kopf war so rot, im Vergleich zu mir hätte Uli Hoeneß wie ein Albino ausgesehen. Ich schwitzte, hechelte und hätte mich am liebsten zu Willis Frau gelegt. Ich verstand kein Wort.
    Laufpapst Willi verließ wortlos den Verkaufsraum. Ich machte mir schon Vorwürfe und rechnete damit, innerhalb der nächsten Minute des Ladens verwiesen oder zumindest nach meiner Privathaftpflicht

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