Wer abnimmt, hat mehr Platz im Leben
Gleichgewicht halten, denn ich stellte die Schweißaufnahmefähigkeit meines Handtuchs auf eine gewaltige Probe. Es fühlte sich mittlerweile an wie der Frotteelappen am Strand in Holland, nachdem eine große Welle darübergeschwappt war.
»Noch acht, noch sieben, noch …!«
Manchmal schaute ich mich verstohlen um. Einer von den Jungs machte bei einigen Ballübungen nicht mehr mit. Memme! Aber er war die Ausnahme. Also quälte ich mich weiter, ich wollte mir vor den anderthalb Metern Muskeln keine Blöße geben.
Beim Wechsel der Marschier-Einheiten gaben meine Knie deutliche Knackgeräusche von sich. Doch noch mal eine Handtuchpause? Wenn ich das Ding auswringen würde, könnte man mit den Wassermassen ein bis zwei Waldbrände in Kalifornien löschen.
Manchmal glaube ich, mein Workout könnte an dieser Stelle vielleicht ein bisschen angestrengt gewirkt haben, denn die anderthalb Meter Muskeln standen plötzlich neben mir und sagten: »Herr Stelter, wenn Sie weg müssen, ist das kein Problem. Sie können natürlich jederzeit aufhören.«
Schön, zu wissen! Aber ich warf einen Blick auf meine Pulsuhr und erwiderte: »Nein, nein, kein Problem. Wir haben jetzt zweiundfünfzig Minuten hinter uns. Die acht Minuten schaffe ich auch noch.«
Sie antwortete: »Das ist schön, dass Sie sich noch so wohlfühlen. Ach, übrigens, das neue David-Kirsch-Workout dauert neunzig Minuten.«
»Noch acht, noch sieben, noch sechs …!«
An dieser Stelle möchte ich das Happy End vorwegnehmen. Ich bin während des Workouts nicht gestorben.
Achtunddreißig Minuten später lag ich auf meiner Matte in meiner eigenen Schweißlache neben dem Gymnastikball. Während sich die meisten Workouter fröhlich schnatternd voneinander verabschiedeten, zeigte meine Pulsuhr möglicherweise 310 , ich weiß es nicht. Ich konnte die Digitalanzeige meiner Uhr nicht lesen, denn mein Arm lag schlaff neben meinem Oberkörper, während mein Blick starr gegen die Hallendecke gerichtet war. Plötzlich sah ich in die Augen der Trainerin, ich hörte sie von Weitem sagen: »Das haben Sie ganz toll gemacht! In Ihrem Alter! Kommen Sie mit, ich geb Ihnen einen aus.«
Ich antwortete: »Nee, ich bleib lieber noch ein bisschen liegen.«
Wer mich an der Saftbar will, der muss mich da hintragen. Jetzt hieß es »Helden bergen in Heldenbergen!«
Fröhöliche Weihnacht überall
Meine alkoholfreien sechs Wochen lagen hinter mir. Das war auch gut so, denn über das Land hatte sich eine Assemblage aus Aromen gelegt. Da paarte sich der Duft von gebrannten Mandeln mit dem von würzigem Glühwein, da vermählte sich der charakteristische Geruch von Currywurst mit dem Odeur von frisch gefällten Tannenbäumen. Die Vorweihnachtszeit war angebrochen, und sie ergoss ihre Märkte in die Fußgängerzonen der deutschen Innenstädte.
Wenn ich diese Düfte vernehme, löst das bei mir eine Art Pawlowschen Reflex aus. Ich muss dann am Bonner Friedensplatz bei Hansi an der Weihnachtspyramide einen Glühwein trinken, und ich komme in der Bahnhofstraße in Unna nicht am Stand der Fleischerei Jürgens vorbei, da muss ich eine Currywurst essen. Beides sind nicht unbedingt Beispiele für die vernünftige Ernährungsweise, die ich seit einigen Wochen praktizierte, zumal der Glühwein »mit Schuss« und die Currywurst mit Pommes frites und Mayonnaise genossen werden müssen. Pommes sind zweifelsohne potente Kohlehydratcontainer, und Glühwein ist nicht isotonisch, so viel ist sicher. Aber mir blieb keine Wahl.
Nur wenn der Glühwein getrunken, nur wenn die Currywurst vertilgt ist, kann Weihnachten kommen. Und auf Weihnachten wollte ich nicht verzichten.
Weihnachten, das große Fest mit der ganzen Familie.
An Heiligabend essen die meisten Deutschen Kartoffelsalat und Würstchen, bei meinen Eltern gab es immer Gulasch mit Brot. Die Begründung ist wohl in beiden Fällen dieselbe. Man kann das Essen prima vorbereiten, damit man am Abend selbst keine Arbeit mehr hat. Das ist eine gute Idee, da muss man gar nicht argumentieren, das versteht jeder. Jeder, außer Anne.
Anne hat nur dann ein schönes Weihnachtsfest, wenn sie am 24 . Dezember mindestens neun Stunden in der Küche verbringen darf. Sie zaubert uns jedes Jahr ein Festmahl, da würden dem Horst die Lichter ausgehen.
Es gibt ein Festmahl. Wir sind festlich gekleidet. Moment. Das könnte ein Problem geben. Ich hatte am ersten Advent den dunkelgrauen Weihnachts-Hochzeits-Beerdigungs-Anzug sicherheitshalber
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