Wer abnimmt, hat mehr Platz im Leben
noch einmal anprobiert, und das sah sehr witzig aus. Im Spiegel erblickte ich einen chinesischen Faltenhund.
Ich kippte den Inhalt meines Papierkorbs auf den Schreibtisch, ich wühlte und fand tatsächlich die Werbung von einem Schneider, der anbot, Maßanzüge anzufertigen, und das für ein Salär, das wirklich nicht so utopisch war, wie ich immer gedacht hatte. Am Montag fuhr ich nach Köln und ließ Maß nehmen für einen dunkelblauen Anzug. Dunkelblau, das ist eine Farbe für Joschka Fischer vor dem Lauftraining, das ist überhaupt nicht hip, also bestellte ich mir ein dunkelblaues Innenfutter mit rosafarbenen Punkten. Der Schneider überzeugte mich noch, Knopflöcher für die Knöpfe unten am Ärmel machen zu lassen. Er hatte mir vorher erklärt, warum.
Gunter Sachs soll einmal mit Coco Chanel in einem Restaurant gesessen haben. Die beiden unterhielten sich gerade angeregt, als die Couturière urplötzlich eine kleine Schere aus der Handtasche zog und dem perplexen Herrn Jetsetter die Knöpfe vom Ärmelschlitz schnitt. Als Begründung gab sie an: »Wo es keine Knopflöcher gibt, da braucht man auch keine Knöpfe.«
Aha. Gut, die Wahrscheinlichkeit, dass ich einmal mit Coco Chanel essen gehen würde, war ziemlich gering, denn sie war leider schon ziemlich tot. Aber der Schneider sicherte mir zu, dass der Anzug noch vor Weihnachten fertig sei.
Auch wenn die sechs Wohlfühlwochen schon vorbei waren, ich führte weiterhin meinen Kreuze-Kringel-Kalender.
Aber es war keine Selbstkasteiung, es durfte auch keine sein. Wir hatten zwar eigentlich abends die Kohlehydrate vom Ernährungsplan gestrichen, aber wir sind deswegen nicht im Hellen auf den Weihnachtsmarkt gegangen, sondern schön brav im Dunkeln, wie sich das gehört. Und ja, ich hatte mir die Wurst mit Pommes frites gegönnt. Ausnahmen können so lecker sein.
Ich bin halt ein richtiges Christkind. Weihnachten besteht aus vielen schönen Ritualen, und wir haben fast alle eingehalten. Die Weihnachtsbäckerei war in den letzten Wochen ein bisschen zurückgefahren worden, aber komplett gestrichen wurde nur der »Bunte Teller«, dieses Sammelsurium an Weihnachtssüßigkeiten, das in der letzten Woche des alten Jahres auf dem Wohnzimmertisch steht, damit es uns jeden Tag aufs Neue zum Schluckern verführt. Dabei muss man diese kleinen Leckereien eigentlich gar nicht essen, man kann sie sich auch gleich auf die Hüften tackern.
Unser Festmahl an Heiligabend wurde in diesem Jahr an unsere Kohlehydrate-Regel angepasst.
Es gab von Anne hausgebeizten Lachs mit Senf-Dill-Eis, ein Kürbissüppchen mit gerösteten Maronen und Rehrücken an Wintersalaten mit Passionsfruchtdressing und Zimtmöhren. Danach kam der Rohmilchkäse mit dem selbstgemachten Feigensenf auf den Tisch, und als süßes Deckelchen servierte sie ein Bratapfelsorbet mit Gewürzpanacotta. Anne sagte nicht ohne Stolz: »Das ist ein Abendessen ohne jede Sättigungsbeilage, mit mindestens zehntausend Kalorien.«
Den neuen Anzug trug ich noch nicht. Bei der letzten Anprobe wurde hier noch eine Nadel gesetzt, dort noch mal mit der Malerkreide hantiert, und der Schneider fluchte vor sich hin, weil er überhaupt nicht nachvollziehen konnte, warum sein Werk nun doch nicht bis Weihnachten fertig sein würde. Mir war klar, woran das lag. Zwischen Maßnehmen und Anprobe lagen drei Wochen und sicher ein paar Kilo weniger.
»Nächste Woche ist er ganz bestimmt fertig, Herr Stelter.«
Vielleicht war es doch keine so gute Idee, mir während einer Abnehmphase einen Maßanzug schneidern zu lassen. Schließlich würde sich ja auch keine Frau der Welt zu Beginn der Schwangerschaft ein Kleid nähen lassen.
Der zweite Weihnachtsfeiertag ist unser Ausruhtag. An Heiligabend gibt es das Festmahl mit den Schwiegereltern, am ersten Feiertag hat meine Mutter Geburtstag, da fährt die ganze Familie nach Unna, aber der zweite Feiertag, das ist der Ausruhtag, da hatte ich immer die Beine hochgelegt. In diesem Jahr versetzte ich sie in leichten Trab, und das machte mir auch noch Spaß. Am zweiten Weihnachtsfeiertag schnürte ich die Laufschuhe, am 28 . Dezember war ich schwimmen, und am Neujahrstag habe ich Skispringen geguckt. Sportlich, sportlich.
Noch mehr Spaß machte nur der 2 . Januar. Mit Absicht hatte ich das »Jahresanfangswiegen« nicht auf den 1 . Januar datiert. Am Morgen nach der Silvesterknallerei soll man im Bett liegen bleiben und nicht auf Waagen steigen. Die Verletzungsgefahr ist einfach zu groß.
Am 2 .
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