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Wer abnimmt, hat mehr Platz im Leben

Titel: Wer abnimmt, hat mehr Platz im Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Stelter
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Ambitionen vor allen Medizinern verschweigen. Auch durfte ich mir keine Pulsuhr zulegen, die mich über meine aktuellen Kreislaufwerte informieren würde. Ich kannte das Ergebnis auch so: Puls 190 , noch vor dem Start!
    Also, kein Arzt, kein Verein, kein VHS -Kurs, kein Läufertreff. Wir mussten eine Laufstrecke heraussuchen, wo uns ganz sicher kein Nachbar sehen konnte. Natürlich wäre der Radweg am Rheinufer bequem zu Fuß zu erreichen, aber ich kannte das Terrain. Die angelnden Rentner würden jegliches Durchhaltevermögen in mir ersticken. Ich konnte mir ihre Sprüche schon vorstellen:
    »Guckt mal, ne Wanderdüne in orange!«
    »Ich habe schon Kontinentalplatten schneller driften sehen, als du läufst!«
    »Läufst du noch oder stirbst du schon?«
    Nein, das wäre demotivierend. Am Rheinufer gab es einfach zu viele Menschen, vor allem zu viele sportliche Menschen. Und außerdem wäre es zu gefährlich. Ich kannte das von unseren unambitionierten Spaziergängen. Da war man gerade noch einem Harakiri-Inlineskater ausgewichen, nur um einem wild gewordenen Mountainbiker in die Speichen zu geraten. Wenn man Glück hat. Wenn man Pech hat, wird man von Kampfgeschwadern aus Hausfrauen in kackbraunen Tchibo-Trainingsanzügen mit ihren Nordic-Walking-Stöcken im besten Fall überholt, im schlimmsten Fall aufgespießt. Wir packten Apfelschorle ein als Elektrolytzufuhr und fuhren mit dem Auto zu einem Feldweg in der Nähe des Bornheimer Wäldchens. Hier würden wir an diesem kalten Nachmittag, drei Tage nach Aschermittwoch, ganz sicher niemandem begegnen.
    Wir entstiegen dem bequemen, wohltemperierten Wagen, zogen noch einmal die Schnürsenkel unserer High-Tech-Lauftreter fest und sahen uns entschlossen in die Augen. Ich startete die Stoppuhr, und wir liefen los.
    »Zwei Minuten laufen, eine Minute gehen.« Zehn Mal! Der Plan stand.
    Und er wurde sofort wieder verworfen. Nach fünfunddreißig Sekunden schnaufte ich schon wie ein Walross auf Betriebsausflug in der Sahara. Die nächsten fünfundzwanzig Sekunden tagte der Familienrat, und nach exakt einer Minute beschlossen wir schwer atmend: »Wir lagen richtig, aber der Plan war falsch: Eine Minute laufen, zwei Minuten gehen. Umgekehrt wurde ein Schuh draus.
    Zehn Mal wollten wir diese Tortur über uns ergehen lassen. Horror!
    Natürlich maulten die Kinder ein bisschen, weil der Genspender so früh schlappmachte, aber sie blieben an meiner Seite. Auch Anne vermittelte einen weit fitteren Eindruck als ich. Manchmal glaube ich, dass sie meinem innovativen neuen Laufplan damals nur aus solidarischen Gründen folgte. Ich war sehr froh, dass ich nicht alleine aufgebrochen war. Nach vier Minuten schrie mein Schweinehund: »Aufhören!« Nach sechs Minuten hatte ich Beine wie Blei und Knie wie Butter. Nach neun Minuten begann ich zu halluzinieren. Ich sah mich mit rasselndem Atem im Straßengraben zusammenbrechen. Ich sah eine Schildkröte mit meinen Gesichtszügen, die, auf dem Rücken liegend, elendig verreckte, weil das blöde Viech die kluge Idee hatte, auf einem gottverlassenen Feldweg herumzusprinten. Auf dem Rheinuferweg hätte mich die DLRG retten können, oder die angelnden Rentner hätten mich mit Scharlachberg Meisterbrand wieder aufgepäppelt.
    Aber ich musste mir ja keine Sorgen machen, meine Familie war bei mir. Betreutes Laufen. Ich gab mir keine Blöße mehr. Ich rannte, ich ging, und ich misstraute dieser Stoppuhr, die rannte, wenn ich ging, und die ging, wenn ich rannte.
    Nach fünfzehn Minuten, zumindest zeigte die vermaledeite Uhr diese Zeit an, legten wir eine schneidige Wende hin und machten uns auf den Rückweg. Nach dreißig Minuten waren wir wieder am Ausgangspunkt angelangt. Ich war glücklich! Ich lehnte meinen geschundenen Körper an das Auto. Mein Puls raste, mein Brustkorb drohte zu zerspringen, stechende Schmerzen in den Oberschenkeln deuteten schon jetzt auf einen Muskelkater hin, der dann tatsächlich nicht von schlechten Eltern war.
    Anne erkundigte sich besorgt, ob ich mich in meinem Zustand in der Lage sähe, noch Auto zu fahren. Ich trank den Liter Apfelschorle auf ex, ruhte mich nur kurze achtzehn Minuten lang aus, und schon atmete ich fast wieder normal.
    Tristan meinte: »Das war geil, das machen wir morgen noch mal.«
    Anne beruhigte ihn mit den Worten: »Sagen wir mal: übermorgen.«
    Ich stimmte zu, wider besseren Wissens, aber als Vater muss man auch Opfer bringen, um sich ein bisschen Respekt der Kinder zu bewahren: »Übermorgen,

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